Das war schon immer so !

«Wenn wir sonntags in die Kirche gehn, ‘s war immer so, ‘s war immer so…» (Foto: Poss)

Viele Leserinnen und Leser kennen sicher dieses Lied, das vor allem durch Willy Millowitschs Interpretation «Wir sind alle kleine Sünderlein» bekannt wurde.

Teile dieses Liedtextes entsprechen manchmal den Erfahrungen im menschlichen All-tag, andere wiederum regen zum Schmunzeln an und das ist ja letztlich auch der Zweck dieses Liedes.

Ein Satz dieses Liedes wird jedoch leider immer wieder auf die Kirche und die Seelsorge übertragen: «Es war immer so, es war immer so!» So lustig dies im Lied auch erscheinen mag, auf die aktuelle Situation der Kirche in der Welt übertragen, ist es eher kontraproduktiv, ja für eine Seelsorge, die die Menschen erreichen und zu Christus führen will, hinderlich.

«Pastorale Chance»
Gerade die Corona-Pandemie der vergangenen Monate, auf die niemand vorbereitet war und auch nicht vorbereitet sein konnte, hat die Kirche und die Gesellschaft aus ihrem gewohnten Rhythmus geworfen. Manche Pfarreien haben schnell zu neuen, teils phantasievollen Methoden gefunden, um den Menschen und ihren seelsorglichen Bedürfnissen auch in diesen schwierigen Zeiten nahe zu sein. Das ist gut so und zeugt davon, dass immer noch viel Lebensenergie in der Kirche vorhanden ist. Wie aber geht es nun weiter? Fallen wir wieder in den alten Trott zurück, nach dem Motto «Es war doch immer so!», oder sind wir imstande, im Neuen, das mancherorts gezwungenermassen gewachsen ist, auch das Wirken des Heiligen Geistes zu sehen? Ich möchte damit die Probleme und Schwierigkeiten, die der Lockdown für viele Menschen gebracht hat, nicht schönreden oder sie naiv als «pastorale Chance» bezeichnen. Aber es ist auch viel Gutes und Bedenkenswertes entstanden. Ich denke hier an die Hilfsbereitschaft und Solidarität unter den Bewohnern ei-nes Dorfes: man hat einander telefoniert, ist für die Nachbarn oder die alten Eltern einkaufen gegangen; ich denke auch an Gottesdienstformen, die nicht unbedingt neu waren, aber nun wiederentdeckt worden sind; ich denke an die Zeit, die man plötzlich hatte, um wieder miteinander zu reden; ich denke aber auch an die Grenzerfahrungen, die manche Familie machen musste, weil nun Eltern und Kindertage- und wochenlang zuhause verbringen mussten, weil auch die Schule ausfiel und Homeoffice angesagt war. Es waren neue Erfahrungen, die uns zeigten, dass es eine Illusion ist zu meinen, wir könnten in einer kranken Welt immer gesund bleiben. Es wäre schade, wenn all das Positive der vergangenen Monate bei der Rückkehr zur gesellschaftlichen und pastoralen «Normalität» wieder im Sande verlaufen würde.


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Kein «es war immer so»!
Papst Franziskus hat immer wieder auf die Unsitte des «immer so!» hingewiesen. Viele Menschen sagen und sie unterstreichen das dann auch mit theologischen, pastoralen und moralischen Gründen, dass die Kirche nur dann eine Zukunft habe, wenn sie sich wieder auf das Altehrwürdige der Vergangenheit zurückbesinne. Das hat aber in der Realität der Welt keine wirkliche Zukunft. «Das war schon immer so und das gilt auch heute noch. In der Geschichte hat es sich immer wieder wiederholt. Wo Starrheit herrscht, da fehlt der Geist Gottes, denn der Geist Gottes ist Freiheit. Der Geist der Starrheit hingegen führt immer zur Unruhe, der Geist der evangelischen Freiheit führt zur Freude». Deshalb sollte ein Christ Sätze wie: «Das haben wir schon immer so gemacht!» – «Das haben wir noch nie gemacht.» «Da könnte ja jeder kommen!» aus seinem Wortschatz streichen. Man nennt solche Sätze «Killerphrasen», oder auch «Totschlagargumente», die jede weitere Diskussion abblocken wollen, ja sogar das Denken verbieten. Da es gerade in der Kirche viele gibt, die solche Sätze verwenden, muss es nicht erstaunen, dass die Kirche in der öffentlichen Meinung nicht gerade als Vorreiterin gilt, wenn es darum geht, neue Wege zu gehen. Dabei wäre es allerhöchste Zeit für die Kirche, solch neue Wege zu finden, sonst wird ihr nur ein fortlaufender Erfolg bleiben. Die Kirche versinkt in die Bedeutungslosigkeit und wird nicht mehr ernst genommen oder nur als ewig gestrige Organisation gesehen. Ich möchte hier keinesfalls dafür plädieren, dass sich die Kirche neu erfindet, denn sie ist nicht eine von Menschen gemachte Institution, sondern das Werk Christi, der immer bei ihr bleiben wird. Papst Paul VI. hat den Sinn dieser Kirche in einem Satz einmal sehr tief-sinnig formuliert: «Wir müssen die Menschen zu Christus bringen und Christus zu den Menschen!»

Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie hat es auch innerhalb der Kirche Diskussionen darüber gegeben, wie man dies am besten bewerkstelligen könnte. Dabei wurde wieder einmal der Graben sichtbar, der die Kirche in so genannt «konservative» und in so genannt «progressive» Richtungen spaltet. Dass solche Diskussionen, die oft sehr verbissen geführt werden, den Leib Christi, der die Kirche ist, zerreisst, widerspricht gänzlich dem Wunsch Jesu, dass alle eins seien. Diese Einheit betrifft nicht nur die Einheit zwischen den verschiedenen Konfessionen und Religionen, sondern auch und wohl in erster Linie die Einheit innerhalb der katholischen Kirche selbst.


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Konservativ gegen progressiv
Lehren «konservative» Kreise, dass das Heil und die Rettung der in die Krise geratenen Kirche in einer Rückkehr zu bewährten Traditionen zu finden ist, so lehren die «progressiven» Kreise, dass sich die Kirche ändern müsse, nach dem Motto «Wer will, dass die Kirche bleibt, darf nicht wollen, dass sie bleibt, wie sie ist!»

Meiner Meinung nach haben beide Kreise sowohl Recht als auch Unrecht. Jeder Papst, jeder Bischof, jeder Priester, ja jeder Christ muss «konservativ» sein, sonst kann er nicht Christ sein! Das Wort «konservativ» stammt ja vom Lateinischen «conservare», was nichts anderes heisst als «bewahren». Wer in der Nachfolge Christi stehen will, muss zuerst das Wort Gottes hören und es in seinem Her-zen bewahren. Maria hat es uns vorgelebt: «Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach (Lk 2, 19). Aus dem genauen Hinhören, dem Horchen muss dann das Gehorchen kommen, indem wir das, was wir vom Evangelium begriffen haben, in unserem Alltag in die Tat umsetzen.

Damit wir diese Botschaft, uns Christen und auch jedem Menschen, der am Christentum interessiert ist, glaubhaft überliefern können, müssen wir «progressiv» sein. Das heisst, wir müssen uns bemühen, diese alte Botschaft in einer neuen Sprache den Menschen von heute zu übermitteln. Wir müssen dies tun, ohne an dem, was Jesus gesagt und getan hat, und das auch heute noch für uns von massgebender Bedeutung sein muss, Abstriche zu machen, um uns der Gesellschaft anzupassen. Wir müssen zwar, wie es der Reformator Martin Luther schön gesagt hat, den Leuten aufs Maul schauen, ihnen aber nicht nach dem Mund reden.

Gemeint ist damit: So kommunizieren, dass uns jeder versteht. Und nicht wie Luthers Zitat heute oft falsch ausgelegt wird, die mehrheitlich vorherrschende Gesinnung übernehmen. Wie Paulus sagt, haben wir die Frohbotschaft zu verkünden und zwar gelegen oder ungelegen. Wir müssen treu sein, nichts an der Botschaft Jesu Christi wegnehmen oder hinzufügen, aber wir müssen all das, was drumherum entstanden ist, ändern oder gar entfernen, falls es der Strahlkraft des Glaubens hinderlich ist. Im Zusammenhang mit dem 2. Vatikanischen Konzil, das bekanntlich viele Neuerungen in der katholischen Kirche gebracht hat, meinte der heilige Papst Johannes XXIII., dass unser Glaube wie eine alte wertvolle Statue sei, die in ein altes kostbares Kleid gehüllt sei. Er wolle durch sein «Aggiornamento», seine Öffnung der Kirche, nur das Kleid erneuern, nicht aber die Statue zerstören, sondern ihre Schönheit neu zum Erstrahlen bringen.


Gottesdienst auf der Triftalp in Gottes herrlicher Natur

Treu zum Heiligen Geist
Papst Franziskus hat in einer Predigt einmal gesagt, man müsse «der Neuheit des Geistes treu sein». Treu sein hat zunächst ja etwas mit Beständigkeit zu tun, mitBeharrlichkeit und Geduld. Zu einem Menschen oder einem Standpunkt stehen, heisst ihm oder ihr oder auch mir selbst treu sein. Aber auch für Beziehungen gilt: Treue gibt es nur mit und in Veränderungen. Das erfahren wir alle in unserem Leben. Denken wir nur einmal an ein Ehepaar, das seit vielen Jahrzehnten miteinander verheiratet ist. Ein Ehepaar kann «ein Lied davon singen, wie sehr sich oft ihre Lebensumstände, ihre Beziehung und auch sie selbst sich verändert haben. Treue heisst eben gerade nicht, dass alles so bleiben muss, wie es ist – einfach weil es schon immer so war. Das wäre der Tod. Was lebendig ist, ist beständig im Wandel. Deshalb wäre es auch der Tod der Kirche und des Glaubens, wenn wir darin erstarren würden, was schon immer so war. Gott ist immer wieder und ewig neu in der Welt und in unserem Leben. Und für die Kraft, mit der Gottes Geist die Herzen und die Welt bewegen kann, hat die Tradition immer schon die Bilder von Feuer und Sturm verwendet. Dieser Dynamik Gottes, die die Kraft hat, alles zu verwandeln, sollen wir uns verpflichtet fühlen und die Treue halten. Dann hat die Gottes-Kraft der Verwandlung und Erneuerung eine Chance, neue Wege zum Frieden und zur Bewahrung der Schöpfung zu gehen» (Dr. Ursula Silber).

Vertrauen wir darauf, dass der Geist Gottes nicht nur vor 2000 Jahren die Apostel aus dem Obergemach in Jerusalem pfingstlich in die Welt hinausgeweht und zu
überzeugenden Zeugen gemacht hat! Vertrauen wir vielmehr darauf, dass derselbe Geist auch heute noch wirkt!

Paul Martone