Ein oft falsch verstandenes Fest
Das Dogma, das Papst Pius IX. verkündet hat, stellt fest, dass Gott Maria vor der Erbschuld bewahrt und sie mit der Fülle der Gnade beschenkt und mit der Aufgabe betraut hat, seinem Sohn, dem Retter der Menschen in ihrem Schoss «eine würdige Wohnung zu bereiten»
In seinem Büchlein «Die wunderbare Welt der Katholiken. Eine Art Liebeserklärung» schreibt Peter Modler: «Geheimnisse – Die ganze Welt ist voll davon. Manche lassen sich sofort verstehen, manche erst nach langer Zeit, und manche überhaupt nicht auf Erden. Dass Menschen von einer Welt umgeben sind, die voller bedeutsamer Geheimnisse steckt, ist für Katholiken keine sonderlich originelle Feststellung. Gott hinterlässt seine Spuren überall, und die muss man eben finden und deuten. Es ist darum für katholische Christen nicht immer nötig, alles rational zu begreifen. Man kann da auch ganz gut etwas in der Schwebe lassen».
Zu diesen Geheimnissen zählt der Autor auch die Unbefleckte Empfängnis. «Versteh ich nicht, aber ich muss auch nicht alles durchschauen. Mein katholisches Leben kann ich trotzdem leben.»
Dogma seit 1854
Versuchen wir im Folgenden ein wenig dieses Geheimnis der «Unbefleckten Empfängnis» zu entschlüsseln.
Dieses Dogma wurde zwar erst 1854 von Papst Pius IX. verkündet, aber bereits seit dem 7. Jahrhundert ist es liturgisch gefeiert worden. Es besagt, dass Maria vom ersten Augenblick ihres Lebens an (d.h. als sie von ihrer Mutter Anna empfangen wurde) vor jedem Makel der Erbsünde bewahrt wurde, von der sonst alle Menschen betroffen sind. Es geht also um die Erwählung Marias, die wir jedes Jahr am 8. Dezember feiern. Der Name «Unbefleckte Empfängnis» (Lateinisch Immaculata) öffnet leider allzu oft dem falschen Verständnis Tür und Tor, Maria sei ohne Zutun eines Mannes empfangen worden. Dies wird zwar von Jesus, aber nie von Maria gesagt. Es handelt sich bei diesem Dogma somit nicht um eine Glaubenswahrheit über Jesus Christus. Der Anlass dieses Festtages am 8. Dezember ist nicht, dass Jesus unbefleckt empfangen und dann bereits am darauffolgenden 25. Dezember geboren wurde, was schon rein biologisch nicht möglich wäre. Die Empfängnis Jesu im Schoss von Maria feiern wir neun Monate vor Weihnachten, also am 25. März, dem Fest Mariä Verkündigung, als der Engel Gabriel zu Maria kam und ihr verkündete, dass sie die Mutter Jesu werden soll.
Das Dogma, das Pius IX. verkündet hat, stellt fest, dass Gott Maria vor der Erbschuld bewahrt und sie mit der Fülle der Gnade beschenkt und mit der Aufgabe betraut hat, seinem Sohn, dem Retter der Menschen in ihrem Schoss «eine würdige Wohnung zu bereiten». Die Sündenlosigkeit der Muttergottes, um die es am «Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria» geht, muss von Christus her begründet und verstanden werden.
Engel mit Flammenschwert, Glasfenster von L. Carnessali,
Kirche Mariä Himmelfahrt, Meran. © Foto Poss
Die Erbsünde
Damit wir dies richtig verstehen, müssen wir bis zu Adam und Eva, also bis in die Anfänge der Menschheit zurückgehen. Die biblische Schöpfungsgeschichte ist nicht als historische Tatsache zu betrachten, die erklären will, wie die Welt entstanden ist. Vielmehr will sie in Bildern zeigen, dass Gott alles erschaffen hat, ohne jedoch über das «Wie» dieser Schöpfung zu spekulieren. Dennoch ist auch dieser Teil der Bibel «Wort des lebendigen Gottes» und es ist auch als solches ernst zu nehmen!
Das Buch Genesis im Alten Testament beschreibt in Bildern, wie das erste Menschenpaar im Garten Eden leben durfte. Es machte sich im Auftrag Gottes alles untertan und war nur Gott gegenüber Gehorsam und Rechenschaft schuldig. Eine Einschränkung hatte das Leben im Paradies jedoch: Adam und Eva durften nicht vom Baum der Erkenntnis essen, der mitten im Garten stand. Doch der Mensch lässt sich von der Schlange verführen. Gegen Gottes Gebot greift er nach dem Baum der Erkenntnis und verfällt damit dem Tod. «Bei dieser ersten Sünde geht es nicht um eine Bagatelle, dass der Mensch nach einer verbotenen Frucht gegriffen und sie unerlaubterweise gegessen hätte… Es geht um mehr!»
Es geht um das erste Gebot: «Gott allein ist der Herr des Menschen und die Quelle des Lebens.» Der Mensch hat die Grenze überschritten, die Gott seinem Geschöpf gesetzt hat. Er wollte sich nicht dem Plan Gottes unterordnen, misstraute ihm und wollte sein wie Gott und alles selber in die Hand nehmen. Damit wählte er den Tod: er musste das Paradies verlassen, Mord und Totschlag kamen in die Welt, die künftigen Menschen werden in Schmerzen geboren; sie müssen ihr Brot im Schweiss ihres Angesichtes essen, verlieren den Respekt vor Gott und missbrauchen, ja zerstören die Erde. Die Folgen davon spüren wir bis heute, ja gerade heute, auch ohne und schon lange vor «Fridays for Future», denn der Sündenfall im Paradies löst eine ganze Kettenreaktion an Sünden aus, die die Menschheit also solche befällt und damit eine soziale Dimension annimmt. «In Adam haben alle gesündigt», schreibt der Apostel Paulus (Röm 5, 12ff). Mit der Erbsünde ist damit nicht eine persönliche Sünde ge–meint, sondern die Schwäche und Sündhaftigkeit der gesamten Menschheit als Nachkommen Adams: «Durch einen einzigen Menschen kam die Sünde in die Welt und durch die Sünde der Tod», schreibt Paulus, der diese «Theologie der Erbsünde» vor allem entwickelt hat. Sie entspringt nicht einem pessimistischen Menschenbild dieses Apostels, sondern der persönlichen Erfahrung des Apostels: «Ich weiss nämlich, dass in mir, das heisst in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt: Das Wollen ist bei mir vorhanden, aber ich vermag das Gute nicht zu verwirklichen. Denn ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will, das vollbringe ich. Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, dann bin nicht mehr ich es, der es bewirkt, sondern die in mir wohnende Sünde. Ich stosse also auf das Gesetz, dass in mir das Böse vorhanden ist, obwohl ich das Gute tun will» (Römer 7, 18–21). Deshalb, so lehrt unser Glaube, kann unsere Rettung nur durch Gott kommen, denn kein Mensch kann sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen.
Weihnachtsdarstellung, Glasfenster von L. Carnessali, Kirche Mariä Himmelfahrt,
Meran, Südtirol. © Foto Poss
Heil durch Christus
Als die Menschen im Ungehorsam die Freundschaft mit Gott verloren und der Macht des Todes verfielen, hat Gott sie dennoch nicht verlassen, sondern ihnen «immer wieder einen Bund angeboten und sie durch die Propheten gelehrt, das Heil zu erwarten». Nachdem alle diese Versuche gescheitert sind, sandte Gott seinen Sohn, der in Maria Fleisch geworden ist. Durch die Geburt Jesu, seinen Tod am Kreuz und seine Auferstehung ist es den Menschen nun möglich, wieder das Heil zu erlangen. Kam durch einen Menschen (Adam) der Tod in die Welt, so kam durch einen Menschen (Jesus Christus) das Heil, das alle Menschen durch die Taufe gewinnen können, in der sie sich mit ihrem Retter verbinden. Gott hätte sicher auch entscheiden können, seinen Sohn Jesus durch einen Menschen zur Welt kommen zu lassen, der wie alle anderen von der Erbschuld befallen ist. Er hat anders entschieden, vielleicht auch um uns zu zeigen, dass ein reines, unbeflecktes Leben zuerst ein Geschenk ist. Man kann es nicht einfach programmieren und sich selber verdienen. Es ist ein Geschenk des erlösten Lebens, das all diejenigen empfangen, die auf das Wort Christi hin an das Reich Gottes glauben und bereit sind im Glauben Jesus nachzufolgen. «Wer, wie Maria, sich ganz Gott zur Verfügung stellt und sein gewiss nie ganz reines und unbeflecktes Herz dem Vater im Himmel anvertraut und dann nicht allzu sehr auf sich blickt, dem wird am ehesten etwas vom Glanz eines reinen und vollen Lebens geschenkt werden können, inmitten einer Welt, die nicht unbedingt den Titel einer “reinen Welt” verdient. Wer sich Gott anvertraut und dann im Glauben und Vertrauen im Geiste Christi handelt und seinem Mitmenschen ohne Hintergedanken dient, den Armen und Notleidenden ein gutes Wort und damit eine vielleicht kleine, aber frohe Botschaft bringt, und ein wenig Trost und Heil den Trauernden, einem solchen Menschen wird am ehesten etwas vom unbefleckten Glanz des erlösten Lebens geschenkt werden, der uns in Maria anschaulich geworden ist.» Dann kann ich mein katholisches Leben wirklich leben, auch wenn ich nicht alles durchschaue.
Paul Martone
Detail aus dem Marienfenster (1956), Glasfenster im Chor des Liebfrauenmünsters zu Strassburg. Foto © Poss