Abschied im engsten Familienkreis

Abschied im engsten Familienkreis

Eine Beerdigung «in aller Stille» ist zu still

Wir lesen jeden Tag von ihm. Hie und da kommt er uns näher als uns lieb ist. Er bedroht Men­schen, die uns lieb sind; manch­ mal nimmt er sie uns. Und eines Tages steht er unausweichlich vor uns und zwingt uns, ihm zu folgen: der Tod.

Wir kennen ihn alle, und kennen ihn doch nicht. Der Tod, von dem wir alle wissen, dass er uns einmal holen kommt! Der Tod steht uns allen bevor! Sterben muss jeder selbst und allein. Niemand kann es ihm abnehmen. Eine Stellvertretung gibt es hier nicht. Und der Tod kommt «todsi­cher». Der Augenblick des Todes ist die Stunde der Wahrheit: Weder Schein noch Lüge halten da stand.

Wer ehrlich ist, wird zugeben, dass ihn das Denken an den Tod nicht kalt lässt! Wir wissen zwar, dass wir alle eines nahen oder fernen Tages sterben werden, aber wir glauben es nicht! Der Tod kann warten, denn ich habe noch so viel vor, so viele Pläne, so viele Dinge, die noch zu erledigen sind. Aber der Tod nimmt keine Rücksicht auf meine Wünsche.

«Ein Christ ist kein Christ»

Auch als glaubende Christen beunruhigt uns der Tod. Wir glauben zwar, dass Gott die Menschen liebt und ihnen treu bleibt – auch im Tod und darüber hinaus! Wie dieses «Darüber hinaus» aber aussehen wird, wissen wir nicht. Dieses ewige Le­ ben ist so unvorstellbar schön, dass wir jetzt nur in Bildern und Gleichnissen dar­ über reden können (vgl. 1 Kor 2, 9). Damit will uns Jesus nicht aufs Jenseits vertrös­ten, als ob das Leben hier auf Erden be­ deutungslos wäre. Im Gegenteil: Das Le­ben vor dem Tod ist einmalig. Hier ent­scheidet sich alles. Hier sollen wir zu lie­bevollen Menschen heranreifen, hier der Versuchung widerstehen, zu engherzigen Egoisten zu verkommen. «Ein Christ ist kein Christ» hat schon am Beginn des dritten Jahrhunderts der afrikanische Kirchenschriftsteller Tertullian zum Aus­ druck gebracht, «dass man also nicht allein, sondern nur in der Gemeinschaft der Kirche Christ sein kann. Diese Aus­ sage versteht sich heute keineswegs mehr von selbst, zumal in einer gesellschaftlichen Atmosphäre wie der heuti­gen, die von einem starken Individualisierungsschub und einer Konzentration auf den einzelnen Menschen und seine Selbstbestimmung geprägt ist. Man kann dabei zunehmend den Eindruck gewinnen, dass jeder Mensch eine Insel des eigenen Fühlens und Denkens zu werden droht und dass diese Inseln manchmal nur noch wenig Verbindung miteinander und mit dem Festland haben» (Kurt Koch).

Respektieren, aber…

Die Kirche ist weit mehr als ein Verein oder eine Institution, geschweige denn eine Insel. Sie hat als Ziel die herzliche Gemeinschaft der Menschen mit Gott und untereinander. Unsere Zugehörigkeit zur grossen Gemeinschaft der Kirche ist nicht etwas zum Christsein Hinzuge­fügtes. Es ist eine wesentliche Konse­quenz der Taufe. Durch unsere Taufe wurden wir in die Familie Gottes aufge­nommen. Jede Familie wird jedoch zer­stört, wenn darin jeder nur für sich schaut, nur seine persönlichen Wünsche und Be­dürfnisse zu befriedigen sucht und sich nicht auch um das Wohl der anderen Familienmitglieder kümmert!

Diese Mentalität zeigt sich immer stärker auch beim Abschied von verstorbenen Personen. Wer die Todesanzeigen in den Zeitungen oder im Internet liest, wird feststellen können, dass es immer öfters dort heisst: «Die Beerdigung fand auf Wunsch in engstem Familienkreis statt.» – «Die Urne wurde in aller Stille beige­ setzt.» Oder: «Die Beisetzung erfolgte in aller Stille.» Sicher muss man für diesen Wunsch Verständnis haben und ihn res­pektieren, aber dieser Trend ist sowohl für die betroffene Trauerfamilie als auch für die Freunde und Bekannten proble­matisch!

Eine traurige Sache

Beerdigungen im «engsten Familienkreis» sind eine traurige Sache, Abdankungen «in aller Stille» sind zu leise und zu still, denn ein «Begräbnis ist keine ausschliess­liche Privatangelegenheit, die nur die Hinterbliebenen angeht. Ein Begräbnis erfüllt auch für all jene, die mit dem Ver­storbenen Umgang hatten, eine öffent­liche Funktion, indem es ihnen die Mög­lichkeit gibt, sich vom Verstorbenen zu verabschieden und ihm ihre Wertschät­zung, Verbundenheit oder Dankbarkeit zu bekunden. Die Teilnahme an einem Begräbnis soll allen Menschen offen ste­hen, die zu dem Verstorbenen in einer Be­ziehung standen. Die persönliche Trauer sollte die Trauer anderer nicht missach­ten! Wird die Öffentlichkeit von der Trauerfeier ausgeschlossen, vergeben sich die Hinterbliebenen die Chance, Linde­ rung und Trost in ihrer Trauer dadurch zu erfahren, dass auch andere Menschen ihre Wertschätzung und Verbundenheit mit ihnen und mit dem Verstorbenen zum Ausdruck bringen. Für einen Chris­ten sollte ein Begräbnis “in aller Stille” keine Alternative sein, denn jedes Be­gräbnis betrifft nicht nur die Hinterblie­benen, sondern auch die Gesellschaft und die Mitglieder der Kirche. Bei der Trauerfeier wird der Glaube nicht nur zum Ausdruck gebracht, sondern er wird dabei auch vertieft und gefestigt. Auch jene, die mit der Kirche keinen Kon­takt haben, können beim Begräbnis er­ fahren, welchen Wert die Botschaft der Kirche für die Menschen hat, da diese Botschaft sich sogar angesichts des To­ des als tragfähig erweist.

Verzicht auf Trost

Ein Begräbnis “in aller Stille” ist auch nicht besser geeignet, um die Belastung der Trauer leichter zu ertragen. Im Ge­genteil, im Nachhinein kommt die quä­lende Frage auf, ob man auch die richtige Entscheidung hinsichtlich des Begräbnis­

ses getroffen hat, denn man hat ja die Würdigung des Verstorbenen geschmä­lert und einen berechtigten Unmut bei denen verursacht, die von der Trauerfeier ausgegrenzt worden sind. Durch den Aus­schluss der Öffentlichkeit hat man auch den eigenen Trost in einem geringeren Masse erfahren. Die Kränkung durch den Ausschluss von einer Trauerfeier kann in der Gesellschaft für die Hinterbliebenen unerwünschte Nachwirkungen zeitigen. Die Ausgrenzung von Menschen, die ger­ne zum Begräbnis kommen würden, ist unangemessen. Jeder Mensch hat das Recht, für den Beitrag, den er für die Ge­sellschaft erbracht hat, öffentlich gewür­digt zu werden, was letztendlich auch Trost für die trauernden Hinterbliebenen mit sich bringt und so bei ihnen eine the­rapeutische und heilende Wirkung ent­ faltet. Die Hinterbliebenen sollten auch nach dem Begräbnis das tröstliche Gefühl haben, das Richtige getan zu haben, denn nachträgliche Selbstvorwürfe belasten und nagen an der eigenen Substanz» (Karl Wagner, Grosses Werkbuch Begräbnis feiern, Herder). Die reformierte Pfarrerin Margrit Balscheit fasst dies so zusammen: «Die stille Bestattung im Kreis der Familie mag im Einzelfall aus der Sicht der An­ gehörigen verständlich sein. Angehörige haben im ersten Schock oder Schmerz das Bedürfnis nach möglichst wenig Öf­fentlichkeit. Doch auf weitere Sicht und gesamtgesellschaftlich betrachtet, ist die stille Bestattung kein guter Trend. Er macht uns im Umgang mit dem schwieri­gen Thema Tod nicht stärker, sondern schwächer».

Wir schauen zurück!

Bei unseren Beerdigungsmessen hat auch der Lebenslauf des Verstorbenen seinen Platz. Der Katholik versteht sein Begräbnis zuallererst als fürbittendes Gebet der Kir­ che auf Erden für einen Verstorbenen. Da­ her ist ein rückblickender Lebenslauf bei einer katholischen Beerdigung auch nicht die eigentliche Blickrichtung. Der Katholik denkt an die Zukunft des Verstorbenen und daran, dass er nach seiner Auffassung etwas dafür tun kann, indem er betet. Im Mittelpunkt der Beerdigungsmesse steht nicht der Verstorbene, sondern der aufer­ standene Herr, an den die Verstorbenen geglaubt haben und daher auch eingehen dürfen in die himmlische Herrlichkeit, die Gott denen bereitet hat, die ihn lieben. Deshalb bittet die katholische Kirche auch darum, dass «der Lebenslauf des Verstor­ benen nur mit grösster Zurückhaltung erwähnt werden sollte» und nur ein paar kurze, wesentliche Punkte beinhalte, die die Verstorbenen charakterisieren und würdigen. Er soll jedoch, gemäss Einfüh­ rung ins Messbuch «nicht eine Lobrede auf den Verstorbenen» sein. Was bleibt und sowohl den Verstorbenen und auch den Hinterbliebenen hilft, ist das Gebet, die Bitte um ewiges Leben für die Toten und um Trost für die Trauernden.

Paul Martone