Genderwahn in der Bibel?

Genderwahn in der Bibel?

Wie aus dem Junias eine Junia wurde (Brief an die Römer 16,7)

«Grüsst Andronikus und Junia, die zu mei­nem Volk gehören und mit mir im Ge­fängnis waren; sie ragen heraus unter den Aposteln und haben sich schon vor mir zu Christus bekannt» (Röm 16, 7).

Wurde in den Bibelübersetzungen der Ver­gangenheit an dieser Stelle immer von einem Mann namens Junias gesprochen, hat die neueste Bibelforschung belegen können, dass es sich hier in Wirklichkeit um eine Frau namens Junia handelt, die mit Paulus im Gefängnis war und wahr­scheinlich die Gattin von Andronikus ist.

Diese «Entdeckung» kann der aktuellen Diskussion über die Stellung der Frau in den Leitungsämtern der Kirche einen neuen Impuls geben, nennt Paulus sie ja herausragend unter den Aposteln. Sie hatte im Urchristentum wohl eine Leitungsfunktion inne.

Lange Geschichte

«Was genau es bedeutete, dass Paulus sie Apostel nennt, ist etwas weniger klar. Vermutlich waren Junia und Andronikus umherreisende Missionare für das Evangelium, die öffentlich auftraten und dafür sogar verhaftet wurden. Ein Amt, das spä­ter “epískopos” hiess und aus dem sich das Bischofsamt entwickelte, war es eher nicht» (Roland Juchem). In der griechischen Sprache, in der das Neue Testament geschrieben wurde, sind beide Lesearten die­ ses Apostelnamens möglich. Die Kirchenväter betrachteten Junia aber als Frau, was sich erst im 13. Jahrhundert in der West­kirche schlagartig geändert und seit der Reformation mit wenigen Ausnahmen all­ gemein durchgesetzt hat. Erst seit den 1980er Jahren hat sich unter den Exegeten
wieder die Meinung durchgesetzt, dass Paulus hier von einer Frau spricht. Grund
für diesen Meinungs­umschwung ist die Tatsache, dass der Name Junias in der Antike nirgends zu belegen ist, im Ge­gensatz zum häugen Frauennamen Junia.

Apostolin

Für Paulus ist das Amt des Apostels etwas sehr Bedeutsames. Ein Apostel muss «vor allen Menschen ein Zeuge Christi werden für das, was er gesehen und gehört hat» (Apg 22,15). Diesem hohen Anspruch ist Junia zweifellos mehr als gerecht gewor­ den, selbst wenn sie wohl kaum zum engsten Apostelkreis um Jesus zu zählen ist. Johannes Chrysostomus schreibt über sie: «Ein Apostel zu sein ist etwas Grosses. Aber berühmt unter den Aposteln – be­ denke, welch grosses Lob das ist. Wie gross muss die Weisheit dieser Frau gewe­ sen sein, dass sie für den Titel Apostel würdig befunden wurde.» Trotz dieses Lobes ist über Junia ausser den knappen Angaben in Röm 15,7 geschichtlich nichts Gesichertes bekannt. Es haben sich aus frühchristlicher Zeit keine Überlieferun­ gen zur Person der Junia erhalten. Wie Paulus schreibt, waren Junia und Andro­ nikus Juden wie er, die schon vor seiner eigenen Bekehrung (vgl. Apg 9, 1–19) zu Christus gefunden hatten.

Paul Martone