Die Nüchternheit und der Löwe

  1. Petrusbrief 5,8–9a

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«Euer Widersacher, der Teufel, geht wie ein brüllender Löwe umher und sucht, wen er verschlingen kann.»

Diesen Text schlägt das Stundengebet für den letzten Gottesdienst des Tages, die Komplet am Dienstagabend, vor: «Seid nüchtern, seid wachsam! Euer Widersacher, der Teufel, geht wie ein brüllender Löwe umher und sucht, wen er verschlingen kann. Leistet ihm Widerstand in der Kraft des Glaubens!» (1. Petrus 5, 8–9a). Die Mässigkeit, eine der vier Kardinaltugenden neben Gerechtigkeit, Stärke und Klugheit, gilt nicht nur für die Enthaltsamkeit beim Konsumverhalten, sie ist auch mit dem Glauben und der Wachsamkeit verbunden und ermöglicht uns, unsere Energien neu zu konzentrieren, um den gefährlichsten Feinden die Stirn zu bieten.
Der Slogan «Weniger ist mehr» ist also für den gesamten existenziellen und spirituellen Weg geeignet. Weniger Güter, weniger Nahrung, weniger Aktivitäten, weniger Unterhaltung, das bedeutet, sich die Chance auf eine echte innere Armut zu geben, einen echten Respekt vor unserem Körper und dem Planeten, eine Konzentration auf das Wesentliche, eine Vertiefung des inneren Lebens. Diese Perspektive beinhaltet keine masochistische Frustration. Im Gegenteil, die Nüchternheit kann als «glücklich» bezeichnet werden, denn sie führt dazu, jede Wirklichkeit, jedes Nahrungsmittel, jedes Unternehmen, jede Begegnung in ihrem wahren Wert zu schätzen.

Am geistlichen Kampf teilnehmen
In seinen Ermahnungen an die Gläubigen am Ende seines ersten Briefes nennt der Apostel Petrus den Kampf als Mittel zur Überwindung des Leidens, das die gesamte Gemeinschaft der Brüder in der Welt erfährt (Vers 9b). Vor allem aber sieht er darin eine Möglichkeit, sich dem zerstörerischen Wirken des Widersachers, des «diabolos», entgegenzustellen, der in der bildhaften Gestalt des «verschlingenden und brüllenden Löwen» dargestellt wird. Das Bild stammt aus Psalm 22,14, dessen Anfang Jesus am Kreuz schreit: «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen» (Matthäus 27, 46). Mässigkeit zu leben bedeutet also, am spirituellen Kampf Christi und der Kirche gegen das Böse und die Lüge, gegen das Leid der Sünde, der Gewalt, des übermässigen Konsums und des Verschlingens teilzunehmen.
Diesen neutestamentlichen Text in der Gemeinschaft der Heiligen vor dem Einschlafen zu beten, bedeutet, sich dem Gott aller Gnade anzuvertrauen, der uns in Christus «wieder aufrichten, stärken, kräftigen und auf festen Grund stellen wird und der uns in seine ewige Herrlichkeit ruft» (1 Petr 5,10).

François-Xavier Amherdt

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