Ora et labora, Maria und Marta (Lukas 10,38-42)


Christus im Haus von Maria und Martha
Jan Vermeer van Delft – Öl auf Leinwand, 1654–1655 (Foto DR)

Was wirft Jesus Marta in jener Szene des dritten Evangeliums eigentlich vor, in der er die beiden Schwestern (deren Bru­der Lazarus ist, laut Johannes 11 und 12,1-8) um Gastfreundschaft bittet? Nicht, dass sie ihren Gast umsorgt, denn das ist laut Lukas 8, 3 auch die Aufgabe der weib­lichen Jünger (sie unterstützen die Zwölf mit ihrem Besitz). Lukas empfiehlt in seinem Doppelwerk nie, auf den Dienst am Tisch zu verzichten, wie es in der Apos­telge­schichte 6, 2-4 der Fall ist, als der Streit über die Versorgung der Wit­­wen griechischer Herkunft ausbricht.

Das Problem ist zum einen, dass Marta nicht zulässt, dass Maria anders handelt als sie, und Jesus scheint dies zu billigen: «Sag ihr doch, sie soll mir helfen», fordert sie vom Meister (Lukas 10,40). Zweitens kommt es auf die Art und Weise des Han­­delns an. Christus legt sich mit Marta an, weil sie in Sorge und Stress verfällt, was bereits in der Bergpredigt des Mat­thäus angeprangert wird (Mt 6, 25-34): «Sorgt euch also nicht um morgen. Jeder Tag hat genug an seiner eigenen Plage». Lukani­sche Übersetzung: «Du machst dir viele Sorgen und Mühen». (Lk 10,41) Schliess­lich ist es eine Frage der Priorität: «Maria hat den guten Teil gewählt», schliesst Jesus (Lk 10,42).

Es geht nicht darum, die Berufs- und Haus­­­­arbeit gegen das Gebet oder das Hören des Wortes auszuspielen. Sondern darum, dem einzig Notwendigen den Vor­­rang zu geben, der Liebe zum Herrn, zu den Brüdern und Schwestern und zu uns selbst, mit unserem ganzen Wesen, unserem Herzen, unserer Seele, unserer Kraft und unserem Geist (Lk 10, 27). Zu­­sammen mit dem unmittelbar vorausgehenden Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10, 29-37) bietet die Episo­de von den beiden Schwestern somit einen wunderbaren Kommentar dazu, was «das grösste Gebot» konkret bedeutet, wie Jesus es dem Geset­zes­gelehrten ­ (Lk 10, 25). Hier weist Christus einer Frau den Platz des Jüngers schlecht­hin zu. Was für ein Fortschritt!

Das Klosterleben setzt all dies in die Tat um: Es verbindet Betrachtung (Kon­tem­pla­tion) und Aktion in einem Lebens­rhyt­h­mus von erstaunlicher Ausgewogen­heit. Ora et labora, bete und arbeite, lautet das Motto der Nonnen und Mönche. Das eine geht für jeden Christen nicht ohne das andere.

François Xavier Amherdt

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