«Er hat uns geliebt!»

Neues Leben für eine fast vergessene göttliche Zusage

Foto: Sr. Claudia

Am 24. Oktober 2024 hat Papst Fran­ziskus seine vierte Enzyklika veröffentlicht, die den Titel trägt: «Dilexit nos!» (Er hat uns geliebt). Der verstorbene Papst behandelt in diesem Schreiben die Herz-Jesu-Ver­­eh­rung. Im Herzen Jesu gründet und entspringt seiner Meinung die wahre Liebe. «Die Verehrung des Her­zens Christi ist nicht ein von der Per­son Jesu losgelöster Kult um ein Organ. Das, was wir betrachten und anbeten, ist der ganze Jesus Christus, der Mensch ge­­wordene Sohn Gottes, dargestellt in einem Bild, das sein Herz besonders be­­tont… Wir verehren zwar das Bild, das ihn darstellt, aber die Anbetung gilt ausschliesslich dem lebendigen Christus. Des­­halb sollte niemand denken, dass uns diese An­­dachtsform von Jesus Chris­­­tus und seiner Liebe trennen oder ablenken kann. Sie führt uns unmittelbar und direkt zu ihm und zu ihm allein», so Franziskus. 
«Mit “Dilexit nos” bekommt die Liebe einen spirituellen Tiefgang, der in der Liebe Jesu Christi wurzelt. Im Herzen Jesu gründet und entspringt die wahre Liebe, die konkret unsere Herzen und diese Welt zum Guten verändern will. Dieser Gedanke liegt dem Papst als Jesuit besonders nahe. «Er wünscht sich, dass die Christen im Blick auf das Herz Jesu der Welt Herzlichkeit schenke», erklärte der Augsburger Bischof Bertram Meier. Als eine Art geistliches Testament fasst diese Enzyklika die bisherigen Lehr­schreiben von Papst Franziskus un­­ter eine gemeinsame Klammer. Sehr per­­sönlich beschreibt der Papst seine eigenen Erfahrungen in der Kindheit und erklärt, aus welchen Quellen sich sein Glauben, sein Traum von einer besseren, gerechteren Welt und seine Sorge für die Umwelt speisen.

Im Zentrum des Evangeliums
Die Spiritualität um die Verehrung des Her­­zens Jesu wird in weiten Kreisen oft belächelt. Für viele ist sie eine seichte, fade, unmännliche Frömmigkeit ohne ernst­zunehmendes theologisches Funda­­ment. Dass dem nicht so ist, zeigt das päpstliche Schreiben sehr deutlich. Der Text hat die Kraft, einen vielerorts beobachtbaren Frömmigkeitskitsch und Ver­­krustungen einer rein folkloristisch ver­stan­denen Herz-Jesu-Verehrung zu über­­winden. Diese dürfe keinesfalls «in der Mottenkiste einer schönen alten Tra­­di­tion verkommen», betonte der Bischof von Innsbruck, Hermann Glett­ler. Zwar gibt es auch in dieser Form der Spiri­tualität einige Entgleisungen und manchen Kitsch, doch letztlich geht es um die Menschwerdung Gottes. «Und im Kern der Enzyklika steht tatsächlich das Zentrum des Evangeliums, nämlich: Gott hat Fleisch angenommen, er ist Mensch geworden, und zwar wirklich Mensch. Es geht um eine Religion der Liebe, um eine Religion des Konkreten», so der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer. Es gehe dabei nicht um Moral, sondern um Erlösung. Es geht nicht um Anspruch, sondern um Zuspruch, nicht um Ansage, sondern um Zusage und nicht um Im­­pe­rativ, sondern um den Indikativ: Ihr seid das Licht der Welt und das Salz der Erde. Wenn «wir versucht sind, uns an der Oberfläche zu bewegen, in Hektik zu leben, ohne letztendlich zu wissen, wo­­zu, wenn wir Gefahr laufen, zu unersättlichen Konsumenten zu werden, zu Skla­ven eines Marktsystems, das sich nicht für den Sinn unseres Lebens interessiert, dann tut es not, die Bedeutung des Her­zens wieder neu zu entdecken», so der Papst in seinem Schreiben.

Hl. Margareta Maria Alacoque und die Herz-Jesu-Erscheinung.
Foto: Sr Catherine, Kirchenfenster in Yvoire (F)

Keine Zeit mit unnützen Diskussionen verlieren
Der Mensch hat nicht nur einen Ver­­stand, dessen er sich möglichst oft bedienen sollte, sondern er hat auch ein Herz und dieses kennt nach einem Wort des französischen Philosophen Blaise Pascal «eine Vernunft, die die Vernunft nicht kennt». Für den Papst müssen wir stattdessen erkennen, dass «ich mein Herz bin, denn es ist das, was mich auszeichnet, was mich in meiner spirituellen Iden­­tität prägt und was mich in Gemein­schaft mit anderen bringt».  Das heisst, die grossen Entscheidungen des Lebens werden nicht durch die Vernunft getroffen oder durch Kalkül und Mathematik, sondern durch eine innere Intuition. Menschen, die die Liebe Christi erfahren hätten, könnten nicht anders, als «diese Liebe weiterzugeben, die ihr Leben verändert hat». 

Im Herzen Jesu «können wir das ganze Evangelium finden, dort ist die Wahrheit, an die wir glauben, zusammengefasst, dort ist das, was wir im Glauben verehren und su­­chen, das, was wir am meisten brauchen», schreibt das Kirchenoberhaupt.

Herz-Jesu, Paray-le-Monial. Foto: Paul Martone

Sie wollten nicht «Zeit mit Diskussionen über zweitrangige Themen verlieren oder damit, Wahrheiten und Re­­geln aufzuerlegen, denn ihr Hauptan­liegen ist es, das weiterzugeben, was sie erleben», so Franziskus. «Das christliche Angebot ist dann attraktiv, wenn es ganz­heitlich gelebt und manifestiert werden kann: nicht als blosse Zuflucht in religiösen Gefühlen oder ostentativen Ri­­tualen. Was für eine Anbetung wäre es für Christus, wenn wir uns mit einer individuellen Beziehung begnügen würden, ohne jedes Interesse daran, anderen zu helfen, weniger zu leiden und besser zu leben?»
«Dilexit nos!» erschien gegen Ende der zweiten Sitzung der Weltsynode, in einer Zeit, in der die katholische Kirche sich fragt, wie man aus Formen von Kleri­ka­lismus und fehlgeleiteten Autoritäten ausbrechen und mehr aktive Gemeinschaft entfalten kann, in der jeder Einzelne be­­rücksichtigt wird. Für manche Kommen­ta­­toren werde eine solche Meditation zweifellos dabei helfen, tiefer zu gehen als nur bis zu den etwas trockenen De­­batten über Strukturen, Ämter und Funk­tionsweisen. Mit der Betonung der Herz-Jesu-Verehrung unterstreicht Franzis­kus: Bitte, achtet auf einen Gott, der ein Herz hat für diese Welt. Dabei hat der Papst offenbar auch einen kleinen Sei­tenhieb auf manche Reformkreise pa­­rat: Er kritisiert solche «Gemein­schaf­­ten und Seelsorger, die sich nur auf äus­sere Ak­­tivitäten konzentrieren, auf Struk­tur­­re­­for­men ohne das Evangelium, auf zwang­­hafte Organisationen, weltliche Pro­­jekte, säkularisiertes Denken, auf ver­­­­schie­­dene Vorschläge, die als Anfor­de­rungen präsentiert werden und manchmal den An­­spruch erheben, allen auferlegt zu wer­­­den». Das Ergebnis sei oft «ein Christen­tum, das die Zärtlichkeit des Glaubens, die Freude am Dienst, den Eifer der Mis­sion von Mensch zu Mensch, die Er­­o­be­rung durch die Schön­­heit Christi, die er­­greifende Dankbarkeit für die Freund­schaft, die er uns geschenkt hat, verges­sen hat». Ausufernde Debat­ten ver­­­nach­lässigten demnach das Feuer des Glau­bens. Die Kirche solle sich daher nicht in endlosen Diskussionen, aber auch nicht in Ritualen verlieren.

Herz-Jesu Kirche in Sitten. Foto: Paul Martone­­­

Menschen sollen ein offenes Herz haben
Ohne Zweifel ist diese Enzyklika auch für die Menschen von heute wegweisend, denn der Mensch sei «in Gefahr, die Mitte zu verlieren, die Mitte seiner selbst». Heute sei alles käuflich und be­­zahlbar, so der Papst «und es scheint, dass Sinn und Würde von Dingen ab­­hän­­gen, die man durch die Macht des Geldes erwirbt. Wir werden getrieben, nur anzuhäufen, zu konsumieren und uns abzulenken, gefangen in einem entwürdigenden System, das uns nicht erlaubt, über unsere unmittelbaren und armseligen Bedürfnisse hinauszusehen. Die Lie­be Christi steht ausserhalb dieses abartigen Räderwerks, und er al­­lein kann uns von diesem Fieber befreien, in dem es kei­­nen Platz mehr für eine bedingungslose Liebe gibt. Er ist in der Lage, dieser Erde ein Herz zu verleihen und die Liebe neu zu beleben, wo wir meinen, die Fä­higkeit zu lieben sei für immer tot». Dem­gegenüber hält der Papst fest: «Wenn im Herzen die Liebe regiert, ge­­langt der Mensch schliesslich zu seiner vollen und leuchtenden Identität, denn jeder Mensch wurde vor allem für die Liebe geschaffen, ist in seinen tiefsten Fa­­sern dazu gemacht, zu lieben und ge­­liebt zu werden.» Die Basis dafür ist, selbst ein offenes Herz zu haben. Um das Göttliche zu empfangen, müssen wir ihm ein Gast­haus bauen, betont Fran­­ziskus, um dann zu ergänzen: «Wenn wir aus dieser Liebe schöpfen, werden wir fähig, geschwisterliche Ban­de zu knüpfen, die Würde jedes Men­schen anzuerkennen und zu­­sammen für die Umwelt Sorge zu tragen.» 

Eine Bitte an die Spötter
«Ich bitte darum, dass sich niemand über die Ausdrucksformen frommer Hingabe des gläubigen Gottesvolkes lustig macht, dass in seiner Volksfrömmigkeit versucht, Christus zu trösten. Und ich lade einen jeden ein, sich zu fragen, ob in manchen Erscheinungsformen dieser Liebe, die den Herrn zu trösten sucht, nicht mehr Vernunft, mehr Wahrheit und mehr Weisheit steckt als in den kalten, unnahbaren, berechneten und minimalistischen Taten der Liebe, zu denen wir fähig sind, die wir behaupten, einen ref­lektierteren, kultivierteren und reiferen Glauben zu besitzen.»

Paul Martone

 

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