Heilige gegen Rassismus

Mosaik am Hochaltar der Basilika von Saint-Maurice. Foto: DR

Die Heiligen der Thebäischen Legion

Bereits seit einigen Jahren sind der Schweizer «Kolonialismus ohne Kolonien», die Schweizer Beteiligung am Sklavenhandel und eine umstrittene Bildsprache in der politischen Werbung bei uns grosse Themen. Und heute wird im Gefolge der Black Lives Matter-Bewegung gefordert, säkulare Säulenheilige wie Alfred Escher in Zürich oder David de Pury in Neuenburg vom Sockel zu stürzen. Die zum Teil sehr heftigen Diskussionen zeigen auf, dass auch die Schweiz keine Insel der Glückseligen ist und in der Vergangenheit – ja bis in die Gegenwart hinein – in unrühmliche Machenschaften verstrickt war. Das Sündenbekenntnis zu Beginn der Messe macht auch für uns als Einzelne wie auch in Gemeinschaft immer Sinn! Anstatt das Niederreissen von Statuen säkularer Säulenheiligen zu fordern, können wir uns auf religiöse Heilige besinnen – afrikanische Gastheilige –, die in der Schweiz für die Ausbreitung des Christentums von grösster Bedeutung waren. Wir sind uns dessen heute kaum noch bewusst. Sie sind bis heute im öffentlichen Raum ebenfalls sichtbar und haben sich in die Religions- und Kulturgeschichte der Schweiz eingebrannt: die Märtyrerheiligen der Thebäi-schen Legion. 

Schweizweite Verehrung
Die älteste ununterbrochen bewohnte Abtei der Schweiz erinnert uns seit 515
in Saint-Maurice an das glaubenstreue Leben und den glorreichen Tod dieser christlichen Soldaten, deren Verehrung sich über Genf, Solothurn, Zürich und Appenzell bis nach Deutschland ausgebreitet hat. Wahrscheinlich hat es die Thebäische Legion im Wallis nie gegeben. Die wirkmächtige Legende weist aber verdichtet darauf hin, dass christliche Soldaten im Kampf gegen heidnische bzw. arianische Goten im Osten des Römischen Reiches ihr Leben für den Glauben geopfert haben und so zu Glaubensvorbildern geworden sind. Da die oberägyptische Provinz Theben eine Wiege des frühchristlichen Mönchstums war, wo der christliche Glaube besonders exemplarisch gelebt wurde, verband die Legende den religiösen Inhalt mit diesem geographischen Begriff, der auch im Westen bekannt wurde. Der erste historisch fassbare Walliser Bischof, Theodul, der 393
als Mitstreiter des Mailänder Bischofs Ambrosius gegen den Arianismus zugunsten des Glaubens an den dreifaltigen Gott bezeugt ist, entdeckte die Gebeine der Thebäerheiligen in Saint-Maurice und förderte so den Heiligenkult und damit die Verbreitung des christlichen Glaubens in der heutigen Schweiz. Dieser Kult fand
in der Wallfahrtshochburg Zürich erst durch die Reformation ein Ende und wurde in Solothurn bis zur Säkularisierung des St.-Ursen-Stifts 1874 hochgehalten. Mauritius lebt bis heute in Patrozinien, in verschiedenen Gemeindewappen und in Begriffen wie Mohr, Mohrenapotheke und Mohrenkopf weiter. Die exotischen Heiligen präg(t)en also die Schweiz bis heute, auch wenn sie nur selten dunkelhäutig bzw. negroid abgebildet werden. 

Eine Ausnahme bildet die Statue des heiligen Mauritius im Dom von Magdeburg, wo er dunkelhäutig dargestellt ist. Foto: AdobeStock

Diese Tatsache kann einerseits positiv als «Einbürgerung» der Thebäer gedeutet werden, aber auch negativ als Verdrängung der farbigen Haut. Das weist uns darauf hin, dass Geschichte und Erinnerung vieldeutig, komplex und veränderbar sind, manchmal sogar widersprüchlich. Dies gilt auch für religiöse Werte und Einstellungen. Auch wir Christinnen und Christen sind vor Überlegenheitsgefühlen, Diskriminierung und Rassismus nicht gefeit. Gesamtkirchlich legte das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) mit der Anerkennung der Menschenrechte und der theologischen Hervorhebung der Menschenwürde den Grundstein dafür, dass Christentum und Rassismus sich ausschliessen. Es lohnt sich, sowohl Heiligenstatuen wie auch umstrittene Denkmäler auszuhalten, weil die damit verbundene positive oder negative Geschichte zum Nachdenken anregt. Sie vorschnell wegzustellen oder abzureissen, wäre gefährlich und kurzsichtig. Weder ein säkularer noch ein kirchlicher Bildersturm bringen uns weiter; wir brauchen Rosen und Dornen!»

Dieser Text von Urban Fink-Wagner, dem Geschäftsführer der Inländischen Mission lädt uns ein, einen genaueren Blick auf diese heiligen Einwanderer zu werfen. Sie erinnern uns daran, dass unser Glaube zum allergrössten Teil durch dunkelhäutige Ausländer in der Schweiz eingepflanzt worden ist. Dies uns immer wieder in Erin-nerung zu rufen, wäre auch bei manchen Diskussionen um Flüchtlinge und Asylanten sicher hilfreich.

Mauritius und seine Legion
Mauritius war ein Heiliger, der mit beiden Füssen auf dem Boden stand, der im Alltag seinen Glauben lebte und bezeugte. Den Leitspruch «Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen» (Apg 5, 29) befolgte er bis in den Tod. Er zeigte Flagge. In diesem Sinn ist sein Vorbild zu allen Zeiten aktuell. Der Herrscher des römischen Weltreiches verlangte nicht nur bedingungslosen Gehorsam in weltlichen Fragen, sondern nahm seit Kaiser Diokletian (24 0–313) für sich in Anspruch, nicht nur Teilhaber am Wesen der Gottheit, sondern selbst ein Gott  zu sein. Die Christen konnten die Forderung nach gottgleicher Verehrung und Huldigung des Kaisers mit ihrem Glauben nicht vereinbaren und bezahlten dies mit ihrem Leben. Die Weigerung den Kaiser als Gott zu verehren, wurde als Angriff auf die religiösen Grund-lagen des römischen Staates betrachtet, was strickte geahndet wurde, da der Vielvölkerstaat ständig durch Zerbrechen und Absplitterungen bedroht war. Auf ihre Strafaktion gegen die aufständischen Bagauden im Südosten Frankreichs kam die thebäische Legion unter ihrem Führer Mauritius und den Offizieren Candidus und Exuperius aus dem oberägyptischen Theben auch ins Wallis, wo sie im damaligen Ort Agaunum ihr Lager aufschlugen, um nach altem Kriegsbrauch dem Gott-Kaiser ein Weihrauchopfer dar-zubringen. Als sich die über 6000 Mann starke Legion weigerte, dieses Opfer dar-zubringen und gegen Glaubensbrüder zu kämpfen, wurden sie zu Staatsfeinden, die es zu beseitigen galt. Die Legion wurde zuerst dezimiert und dann, als der Befehl weiterhin verweigert wurde, im Herbst des dritten Jahrhunderts hingerichtet. Das Vermächtnis dieser tapferen Soldaten strahlt bis heute weiter, sei es durch die Abtei von Saint-Maurice, die im Jahr 515 von König Sigismund von Burgund gegründet worden ist, sei es durch die unzähligen Kirchen, die ihm weltweit geweiht sind: 57 Kirchen in der Schweiz, 600 in Deutschland, 800 in Frankreich und in Italien etwa 1200. Mag die historische Wahrheit über das Martyrium des heiligen Mauritius und seiner Gefährten auch heftig umstritten sein, die diesen heiligen Märtyrern gewidmete Frömmigkeit ist offensichtlich: sie hat die Geschichte der Christenheit auf religiöser, politischer und soziokultureller Ebene nachhaltig beeinflusst. Nicht zuletzt auch durch die Frauen und Männer, die mit der thebäischen Legion in die Schweiz gekommen sind und heute als Heilige verehrt werden.

Foto: © Barbara Fleischmann. www heiligederschweiz.ch

Urs und Viktor 
Beide sollen der Legende nach als Soldaten der Thebäer nach Solothurn gekommen sein. Hier wurden sie, wohl im Jahr 303, gefangen genommen. Nach langer Folterung sollten sie verbrannt werden, doch liess ein heftiger Regen das Feuer des Scheiterhaufens erlöschen. Daraufhin wurden sie enthauptet und ihre Körper in den Fluss geworfen. Die Toten seien auf der Aare geschwommen, hätten ihren Kopf in die Hände genommen und an Land getragen, wo sie bestattet wurden. An der Stelle, wo die beiden Heiligen angeblich hingerichtet worden waren, wurde die St. Peterskapelle errichtet. Um das Jahr 500 wurden die Reliquien des hl. Viktor nach Genf überführt, wo sie in den Wirren der Reformation verloren gingen, während der Leib des Urs in Solothurn blieb. Die Kathedrale des Bistums ist beiden Heiligen geweiht. Der Gedenktag dieser Patrone ist der 30. September.

Die heilige Verena auf der Rheinbrücke. Sie markiert die Grenze Schweiz–Deutschland . Foto: © Barbara Fleischmann

Verena
Im Jahr 2003 wurde die hl. Verena zur Co-Patronin des Bistums Basel erhoben. Auch sie soll aus Theben stammen und schloss sich dem Tross der Legion des Mauritius an. Sie kam bis nach Mailand, wo sie einige Zeit lebte und sich um die Bestattung der Christen kümmerte, die dort um-gebracht wurden. Als sie von der Enthauptung des Mauritius und seiner Gefolgschaft in Agaunum hörte, zog sie dorthin, um auch diese zu bestatten. Dann zog sie weiter nach Solothurn, wo sie sich in der heute nach ihr benannten Verena-Einsiedelei niederliess. 

Verena ging später nach Koblenz und zuletzt nach Zurzach, wo sie Hausgehilfin des Priesters wurde. Mit Krug und Kamm ging sie jeden Tag vor die Stadtmauer und wusch damit die Aussätzigen. Ihr Ruf wurde allgemein bekannt, sodass man ihr in Zurzach schliesslich eine Zelle baute, wo sie bis zu ihrem Tod mit dem heilenden Wasser einer Quelle Kranken das Haupt wusch, sie kämmte, heilte und salbte. Sie starb um die Mitte des vierten Jahrhunderts. Ihr Grab befindet sich heute im Verena-Münster in Bad Zurzach, das seit dem 10. Jahrhundert einer der beliebtesten Wallfahrtsorte der Schweiz und auch heute noch Ziel vieler Pilger ist. Verena wurde eine der am meisten ve–r-ehrten Heiligen der Schweiz. Ihr Gedenktag ist der 1. September.

Felix und Regula
Der Legende nach sollen Felix und Regula nach dem gewaltsamen Tod der Thebäischen Legion, der sie angehört haben, von Agaunum (Saint-Maurice) über die Furka und den Klausenpass ins Glarnerland geflohen sein. Von dort folgten sie schliesslich der Linth und gelangten nach Turicum (Zürich). Dort blieben sie und dienten Gott. Sie wurden aber entdeckt, und als sie sich trotz Folter weigerten, die römischen Götter anzubeten, wurden sie zusammen mit ihrem Diener Exuperantius am Ort, wo in dieser Stadt heute die Wasserkirche steht, enthauptet. Wie schon Urs und Viktor in Solothurn sollen sie ihr Haupt bis zu dem Ort getragen haben, an dem sie bestattet werden wollten; dort steht heute das Grossmünster. Als Huldrich Zwingli in Zürich die Reformation einführte, war ihm auch die Verehrung der Reliquien ein Dorn im Auge. Deshalb wurden die Gebeine von Felix und Regula 1525 in die Dorfkirche von Andermatt gebracht, wo ihre Häupter sich auch heute noch befinden. 

Felix und Regula © Pfarrei Felix und Regula in Zürich, siehe www. heiligederschweiz.ch 

Die übrigen Reliquien wurden 1950 nach dem Bau der katholischen Kirche St. Felix und Regula in Zürich dorthin zurückgebracht. Die moderne Forschung vertritt die These, die später von einem Kleriker festgehaltene Legende und die Verehrung der Heiligen gehe auf die Auffindung eines ausserordentlichen Grabes zurück. An ihrem Gedenktag, dem 11. September wird jeweils das Zürcher Knabenschiessen durchgeführt.

Paul Martone

 

                                                                                                                         

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