«Gebt Acht auf euch selbst und auf die ganze Herde.» Diese Empfehlung des heiligen Paulus (Apg 20, 28) fordert die Verantwortlichen der Gemeinden auf, auf sich selbst zu achten. Viele Priester fühlen sich heute angesichts der ihnen anvertrauten Mission einsam und entmutigt.
«Es ist kurz vor 19 Uhr, ich habe noch fünf Stunden bis zur Mitternachtsmesse. Es ist Heiligabend und ich bin allein. Keines meiner Gemeindemitglieder hat daran gedacht, mich einzuladen, um mit seiner Familie das Weihnachtsessen zu teilen. Kann ich ihnen das vorwerfen? Es ist ihnen einfach nicht in den Sinn gekommen. Der Weihnachtsabend ist ein Abend für die Familie, für die Privatsphäre, und ich gehöre nicht zu ihrer Familie. Ich bin niemandes Intimus. Für alle bin ich abgesondert, getrennt. Meine Familie ist weit weg, ich werde sie morgen bei einem Snack bei meinen Eltern treffen. Bis dahin bin ich an Heiligabend ein einsamer Mann.»
Dieses Zeugnis eines befreundeten Priesters lädt uns dazu ein, auch andere Einsamkeiten in Betracht zu ziehen, die weitaus grösser und dramatischer sind. Die jüngsten Nachrichten aus der katholischen Kirche in Frankreich, aber auch in anderen Ländern wie Indien oder den USA, waren von mehreren Selbsttötungen von Priestern geprägt. Jede einzelne Geschichte hat manchmal intime und unbekannte Ursachen, aber in der Kirche entsteht allmählich ein Bewusstsein für die Notwendigkeit, den psychologischen Schwächen von Priestern und Ordensleuten mehr Aufmerksamkeit zu schenken, und zwar vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen und medialen Drucks, die für viele eine Quelle der Erschöpfung ist.
Druck durch die Medien
Am Sonntagabend, dem 3. Februar 2008, nahm sich ein Priester aus Neuenburg das Leben. Er habe den Druck der Medien nicht mehr ausgehalten, sagte sein Umfeld. Am Vortag der Trauerfeier in der Neuenburger Basilika ergriff der Schwager des Verstorbenen das Wort und beschuldigte offen die Medien. Der Priester, so sagte er, sei «von dieser Horde von Journalisten verfolgt worden, deren Atem er hinter sich spürte». Auch Bischof Genoud hatte in einer Sendung des Westschweizer Fernsehens, «Infrarouge», die Medien mit den Worten angeklagt: «Manchmal tötet das Gerücht!».
Gesellschaftlicher Druck
Natürlich gibt es die ewige Debatte darüber, ob man die Entscheidung zwischen Ehe und Zölibat aufgeben soll, wobei letzteres nach Ansicht einiger als die Quelle allen Übels angesehen wird. Dies ist nicht die Meinung von Pfarrer Vincent Lafargue, der überzeugt ist, dass die grosse Mehrheit der Priester nicht unglücklich ist, weil sie zölibatär leben, ganz im Gegenteil. Seiner Meinung nach beleuchten die Medien zu oft Fälle, die nicht unbedingt repräsentativ sind. «Warum sollen immer Priester zu Wort kommen, die damit nicht gut zurechtkommen oder die aus der Kirche ausgetreten sind, um zu heiraten? Der Zölibat der Priester ist zwar eine Quelle grosser Fruchtbarkeit in der Kirche, aber “diese Lebensentscheidung bringt uns auch in eine grosse Verletzlichkeit”, erklärt ein anderer Mitbruder. “Die Zärtlichkeit einer Ehefrau nicht zu spüren, die eigenen Kinder nicht zu sehen, jeden Abend allein nach Hause zu kommen und sich in ein leeres Bett zu legen, ohne eine Hand, die man drücken kann. All das macht uns zu zerbrechlichen Menschen”.»
Das Leben eines Priesters hat schon immer eine gewisse Einsamkeit mit sich gebracht. Aber heutzutage, mit fast leeren und kalten Kirchen, einer in den Medien verunglimpften und lächerlich gemachten Figur, einer gleichgültigen oder ablehnenden öffentlichen Meinung und der Berufungskrise, fühlt sich ein Priester oft mehr als nur einsam, er fühlt sich verlassen. Der Erzbischof von Oviedo in Spanien, Jesus Sanz, beklagt «das Misstrauen und die Verachtung, die Priestern in der Gesellschaft entgegengebracht werden. Von einer Zeit, in der der Priester mit Respekt und Verehrung behandelt wurde, ist man nun zu einer Phase übergegangen, in der er nichts zählt und die Kirche im Allgemeinen und der Pfarrer im Besonderen zu ächten sind».
Die Einsamkeit älterer Priester
Der Papst hatte in einer seiner Predigten gesagt: «Vergesst die älteren Schwestern und Priester nicht». Oft fühlen sich diese Priester nutzlos, weil sie keine Aufgabe mehr haben. Einer meiner Mitbrüder sagte mir: «Ich bin zu nichts mehr nütze». Die meisten warten so lange wie möglich, bevor sie in ihre Gemeinschaft zurückkehren oder in ein Altersheim ziehen.
Sie tun dies erst, wenn sie keine andere Wahl mehr haben und weil sie sich in einem Zustand der Abhängigkeit befinden. Das ist schwierig für sie, denn sie hatten ein aufregendes, aktives Leben und viele Kontakte während ihres Dienstes, und nun sind sie isoliert. Ausserdem können einige von ihnen nicht mehr die Messe feiern.
Die Plage der vollen Terminkalender
Da die Zahl der Priester in der westlichen Welt in den letzten Jahren abgenommen hat, werden sie oft von der Arbeit erdrückt, da sie ein sehr grosses Gebiet oder mehrere Pfarreien zu betreuen haben. Selbst wenn sie herzliche Beziehungen zu ihren Pfarreiangehörigen oder Mitarbeitern haben, kann es sein, dass sie sich einsam fühlen, wenn sie abends in ihr leeres Pfarrhaus zurückkehren und sich das Essen selbst zubereiten müssen. Die Realität zeigt, dass diese Erschöpfung und der ständige Stress zu Entmutigung, Aufgeben und Verlassenheit führen können. Doch es gibt Möglichkeiten, damit umzugehen. Ein Pfarrer der Diözese Sitten erklärt: «Was mich antreibt, weiterzumachen und Freude und Zuversicht zu finden, sind all die ausgetauschten Blicke, das Lächeln, der Austausch und die Begegnungen. Für mich ist es wichtig und entscheidend, mit Gott und den anderen in Verbindung zu bleiben. Es ist auch die Gewissheit, dass es Jesus ist, der seine Kirche und damit auch meinen Dienst leitet.»
Positive Einsamkeit
Dennoch ist die Einsamkeit ein Teil unseres Lebens. Die Erfahrung zeigt, dass sie nicht immer negativ ist: Manchmal suchen wir sie wie ein kostbares Gut, das wir brauchen, um Abstand zu gewinnen, nachzudenken und zu beten. Viele Priester, die ich getroffen habe, gaben mir ihre Freude darüber weiter, dass ihr Pfarrhaus nach einem anstrengenden und ermüdenden Tag eine Oase des Friedens und der Erholung ist. Einer von ihnen sagte mir sogar: «Ich bin ein Privilegierter, wenn ich an die Familienväter und -mütter denke, die nach Hause kommen und ihren Abend damit verbringen müssen, die Hausaufgaben der Kinder zu überwachen, ihr Spiel zu teilen und sie nach einem anstrengenden Tag ins Bett zu bringen.» Ein anderer meint, «dass die Einsamkeit ein Raum der Stille, der Verfügbarkeit und der Begegnung ist, der vor Überforderung bewahrt. Ich liebe es, allein in den Bergen zu wandern. Ich liebe es, wie Christus allein zu beten. Ich liebe und suche diese Einsamkeit, die mich wirklich zu Gott hinführt».
Einige Hinweise, um besser mit Einsamkeit umzugehen
Die psychologischen Schwächen mancher Priester, die oft mit Beziehungsproblemen und der Gefahr der emotionalen Einsamkeit verbunden sind, werden von der katholischen Kirche immer ernster genommen. Während der Stellenwert der Psychologie in der Priesterausbildung früher ein gewisses Misstrauen hervorrief, wird sie heute oft als wertvolle Quelle betrachtet, um ein ausgewogenes und nachhaltiges Priestertum zu leben. Solche Quellen können auch in der Familie des Priesters gefunden werden, bei seinen Eltern und Geschwistern. Sie kennen ihn am besten und können seine Schwierigkeiten verstehen. Es gibt auch die Pfarrei, die um den Priester herum eine echte Brüderlichkeit schaffen muss, indem sie ihm hilft, die richtige Orientierung für seine Pfarrei zu finden. Schliesslich gibt es noch die wertvolle Priesterfreundschaft (siehe Kasten), die jeder Priester durch gemeinsame Mahlzeiten, regelmässige Treffen und eine sinnvolle Freizeitgestaltung pflegen sollte.
Calixte Dubosson, Pfarrer