Klosterleben am Ende?
Jedes Jahr am 2. Februar wird in der katholischen Kirche der Tag des geweihten Lebens gefeiert. Papst Johannes Paul II. hatte den Tag am Fest «Darstellung des Herrn» im Jahr 1997 eingeführt, um die Wertschätzung von Orden und anderen Gemeinschaften geistlichen Lebens zu fördern. Viele Ordensleute verschiedener Gemeinschaften kommen an diesem Tag zusammen, um gemeinsam zu beten, einander zu ermutigen und sich gegenseitig auszutauschen. Dieser Austausch ist wichtig, denn gerade im Blick auf die Zukunft der Ordensgemeinschaften in unserem Land gibt es manche Fragezeichen, doch hinter allen Fragezeichen taucht auch ein «und doch!» auf.
Manche Fragezeichen
Wer nach den Ordensgemeinschaften in unserem Land fragt, denkt zuerst an eine Gruppe älterer, ja alter Frauen und Männer, die gebeugt von der Last des Alltages und des langen Lebens in ihren Häusern beten und arbeiten. Das Fragezeichen über ihrem Alltag lautet meistens: «Wie lange noch?» Wie lange wird die Ordensgemeinschaft noch existieren und wird sie noch ihre Aufgaben erfüllen können? Wenn ich davon erzähle, dass ich gerade in diesem oder jenem Kloster war, wird sofort die Frage gestellt: «Wie viele sind denn da noch?» Dieses «noch?» ist kein Zeichen der Hoffnung, sondern sagt, dass viele den Klöstern keine Zukunft mehr geben. Angesichts des hohen Durchschnittsalters der Ordensfrauen und Ordensmänner ist das eine berechtigte Frage. Junge Menschen, die ins Kloster gehen, sind selten, so dass die Gemeinschaften schrumpfen und manche von ihnen gezwungen sind ihre Klostergebäude aufzugeben. In Zukunft wird es wohl noch weitere Klosterschliessungen geben. Bereits vorher mussten die Orden Schulen und Spitäler in andere Hände geben, weil sie zu wenig Brüder und Schwestern hatten, um diese Einrichtungen kompetent weiterzuführen. Sie mussten loslassen, was sie vor vielen Jahrzehnten, manchmal sogar vor Jahrhunderten mit viel Mühe, Arbeit und Geld hoffnungsvoll erbaut hatten. Sicher ist dieser Abschied auch den Ordensleuten nicht immer leichtgefallen, vielmehr ist er erfüllt von Trauer und Schmerz, denn Abschied war hier wirklich «ein bisschen wie sterben». Staatliche Stellen haben viele Institutionen übernommen, die von Ordensschwestern gegründet und geleitet worden sind. Zahlreiche Ordensgemeinschaften mussten Klöster aufgegeben, da die Zahl der Ordensleute so klein wurde, dass es nicht mehr möglich und auch nicht mehr sinnvoll schien, eine eigene Gemeinschaft aufrechtzuerhalten. Wohl fast jeder von uns kennt Klostergemeinschaften, die aus dem Ort oder der Region weggezogen sind – fast immer zum grossen Leidwesen der Bewohnerinnen und Bewohner. Das grosse Fragezeichen, das über allen Ordensgemeinschaften in ganz Westeuropa aufleuchtet, heisst. Wie weiter? Versuchen in Würde zu sterben, oder wagen wir einen mutigen Blick in eine hoffnungsvolle Zukunft?
«… und doch!»
Dieses «… und doch!» spricht davon, dass das Leben in einem Orden auch heute noch sinnvoll und lebbar ist. Geweihtes Leben ist nicht einfach nur eine fromme Existenz von ein paar Frauen und Männern, die hinter Klostermauern ein sorgenloses Leben führen, sondern ein Zeichen und zugleich eine Botschaft für die Menschen und für die Welt. Klöster, egal wie klein sie sind, können auch heute noch wie ein Leuchtturm in der Dunkelheit sein, ein Zeichen, das alle, die es sehen, an Gott und an den Ort des Gebetes erinnert. Deshalb wird es auch in Zukunft Klöster geben, ja geben müssen, damit die Menschen in der Welt erfahren können, dass es neben Wirtschaft, Geld, Luxus und Selbstbestimmung noch eine andere Dimension gibt, die über diese Welt hinausgeht. Papst Franziskus würdigt das geweihte Leben als prophetisch und sagt: «Das sind Männer und Frauen, die die Welt aufwecken können». Ein gottgeweihtes Leben als Humus der «neuen Erde und des neuen Himmels». Ein geweihtes Leben, das von Jesus Christus und seinem Heilsplan beseelt ist, das nie aufhört, sich Fragen zu stellen und zu suchen, trotz Überalterung, Mangel an Berufungen und trotz mancher Skandale, von denen auch Ordensgemeinschaften betroffen sind. Ein geweihtes Leben, dessen Zentrum der Geist des auferstandenen Christus ist, der immer wieder zu uns spricht und uns inspiriert nicht oberflächlich zu sein, sondern tiefer zu schauen, Dinge neu zu überlegen ohne am Wesentlichen Abstriche zu machen. Damit wir zu den vielen gehören, die als Söhne und Brüder «gemeinsam gehen» und sich «von der demütigen und glücklichen Gewissheit derer leiten lassen, die von dem Weg, der Wahrheit und dem Leben, der Christus ist, gefunden, erreicht und verwandelt wurden und nicht aufhören können, ihn zu verkünden».
«Man tut…»
Gewiss gibt es auch unter den Mitgliedern in den Ordensgemeinschaften Streitigkeiten und persönliche Abneigung, Fehler und Sünden. Es zeigt, dass auch Ordensleute nicht vollkommen sind, sondern erst auf dem Weg zur Vollkommenheit, zu dem jeder Christ aufgerufen ist. Papst Franziskus erteilte Selbstmitleid und Klagen eine Absage, ebenso verurteilte er «die Gewohnheit eines “Man tut, was man kann” und “Man hat es immer schon so gemacht”». Ordensleben sei nicht «Überleben», sondern «neues Leben», so der Papst. «Wir sind wenige, aber wir sind neues Leben.»
Franziskus ermutigt die katholischen Orden, die seit Jahren vor allem in Europa und Nordamerika Nachwuchsprobleme haben: «Mit Jesus findet man wieder den Mut voranzugehen und die Kraft, fest zu stehen. Die Begegnung mit dem Herrn ist die Quelle», so Franziskus. So lange die Ordensleute diese Quelle nicht aus den Augen verlieren, werden weiterhin Ordensschwestern und Ordensbrüder auf den Strassen unseres Landes anzutreffen sein, um zu zeigen, dass es einen Gott gibt, für den es sich lohnt, sein Leben einzusetzen, denn Gott gibt mehr, als er verlangt. Doch leider glauben viele Ordensleute selbst nicht mehr daran, dass ihre Lebensform eine Zukunft hat. Dabei wird es sicher weitergehen, in anderer Form und anderem Inhalt, aber Gott ist sehr phantasievoll und kann den Orden Wege eröffnen, die wir uns selbst in den schönsten Träumen nicht hätten vorstellen können. Aber die Frage stellt sich, ob die Ordensmitglieder noch zu träumen wagen und bereit sind neue Wege nicht nur in Planspielen zu bedenken, sondern diese Wege auch zu gehen im Vertrauen darauf, dass Gott mit ihnen mitgeht und sie ins Weite führen wird.
Alternativen
Die Klöster haben eine Zukunft, wenn sie bereit sind, neue Wege zu gehen und mit der Aussenwelt mutig in Kontakt zu treten. Seine Position vor Ort bezeugen: authentisch und in einer Form, die der Eigenheit des religiösen Lebens entspricht. Es geht darum, neue Aufgabenfelder für die Ordensschwestern und -brüder zu suchen. Ein solches Feld könnte sein, eine zeitgemässe Antwort auf Fragen des Lebens zu finden und die Menschen in allen Erfahrungen ihres Menschseins mitsamt den dazugehörenden Abgründen zu begleiten und eine echte Alternative aufzuzeigen. Viele Menschen haben den Boden unter den Füssen verloren, sie suchen nach Sinn und Hoffnung. Könnten Klöster nicht Orte sein, in denen diese Menschen Hoffnung erleben durch Menschen, die aus Gott leben und darin den Sinn ihres Lebens erfahren haben?
Es braucht kontemplative, so genannte «geschlossene» Klöster, in denen der Lobpreis und die Verherrlichung Gottes im täglichen Gebet im Mittelpunkt steht. Es braucht auch die Klöster mit den offenen Türen, durch die alle Suchenden eintreten dürfen und zwar nicht nur die Klosterpforte, sondern auch die Türen zu ihrem Leben, zum Gebet und zu Jesus Christus. Um das zu ermöglichen, braucht es nicht grosse Gemeinschaften, sondern ein paar wenige Menschen, in denen das «feu sacré», das heilige Feuer brennt.
In den verbliebenen Klöstern darf es nicht um die Frage gehen, wer am Schluss das Licht im sterbenden Kloster löscht. Vielmehr soll es um die Frage gehen, wie können wir das kleine «feu sacré» wieder zu einem lodernden Feuer werden lassen. Wenn dieses Feuer wieder brennt, können Klöster die Menschen von heute begleiten, ihnen den Glauben verkünden und Zeugnis ablegen von dem, was sie im Innersten betrifft und antreibt. Sie können den suchenden Menschen von heute, einen Sinn für ihr Leben aufzeigen wie nirgends sonst. Das ist die beste Werbung für ein Leben im Kloster: so zu leben, dass die Menschen ins Staunen kommen und fragen, wieso die Menschen im Kloster anders leben. Warum sie nicht Böses mit Bösem vergelten? Warum sie einander verzeihen, woraus sie Hoffnung schöpfen, die sie nicht verzweifeln lässt, allem Unerfreulichen und Kranken zum Trotz? Wer beginnt so zu fragen, der beginnt sich zu öffnen für eine Antwort, die gerade durch Menschen, die im Kloster ihre Berufung gefunden haben, gegeben werden kann. Es gilt zu entdecken, dass die eigene Ordensspiritualität und das eigene Lebenszeugnis auch heute in der Gesellschaft noch gefragt sind. Viele sitzen auf einer spirituellen Schatztruhe, aber wollen oder können aus diesem Schatz nicht teilen. Deshalb ist es wichtig, dass die Orden mit der «Aussenwelt» Kontakt aufnehmen und davon erzählen, was die Schönheit des Ordenslebens ist und welche Schätze sie den suchenden Menschen von heute anzubieten hätten. Geschieht das in einer Sprache, die die Menschen von heute verstehen, dann werden die Orden bei den suchenden Leuten auf Interesse stossen und dann werden sie Zukunft haben!
Paul Martone