Der Kirchturm

Der Turm von Ulm /. Foto: © by_Gerhard Giebener_pixelio.de

«Damit die Erde hafte am Himmel, schlugen die Menschen Kirchtürme in ihn…», schrieb der Dichter Reiner Kunze. Tür­me sollen «ein Zeichen sein, das Himmel und Erde verbindet. In den aufsteigenden Li­­nien eines romanischen Turmes erblicken manche den architektonischen Ausdruck des Glaubens an einen Gott, der zu den Menschen kommt. Die aufsteigenden Li­­nien eines Turmes der späten Gotik können dagegen den Wunsch des Menschen ausdrücken, zu Gott em­­por­zusteigen» (Egon Kapellari). 
Jeder Kirchturm ist ein Signalgeber. Zu­­erst einmal, weil in ihm die Glocken hängen, die die Menschen zum Gottesdienst und dreimal täglich zum Gebet des «Engel des Herrn» (An­­ge­lus) einladen. früher waren die Glocken auch die Alarm­zeichen, wenn es irgendwo brannte oder Feinde angriffen. Der Turm ist aber auch schon allein wegen seiner überragenden Höhe ein Signalgeber. Und wenn er unseren Blick nach oben zieht, so wird er zu einem Fingerzeig zum Him­­mel, zu einem geistlichen Leitstern. Er lädt dazu ein, sich an Gott zu orientieren und sich nicht im Kleinkram des Alltags zu verlieren. So gesehen sorgen Kirch­türme dafür, dass der Gang durch die Dörfer und Städte und auch über die Äcker und Felder leichter wird, denn wir gehören nicht nur zur Erde, wir gehören auch zu Gott, und dazwischen lässt sich gut Mensch sein.
«Der Kirchturm weist aber auch – wie ein Wegweiser – auf das Kirchengebäude hin als einen Ort, der sich von anderen unterscheidet, auf einen Ort, der dem Hei­­ligen Raum gibt, der deshalb ein Ort der Zweckfreiheit ist, ein Raum der Frei­heit von Kommerz und Stress, ein Raum der Stille und des Gebetes. Der Aphoris­tiker Georg Christoph Lichtenberg definierte Kirchtürme daher kurz und bündig so: “Kirchtürme: umgekehrte Trichter, das Gebet in den Himmel zu leiten”.» (Doris Strahm)
In zahlreichen Gemeinden wird der Kirch­turm heute als guter Standort für eine 5G-An­ten­­ne betrachtet und entsprechend vermarktet. Eine Idee, die von man­­chen Umwelt­schützern wegen der hohen elektromagnetischen Strahlung als gesundheitsgefährdend abgelehnt wird. Auch gibt es Leute, für die Kirchtürme ein Ärgernis sind, da sie durch das Geläut der Kirchen­glocken am Sonn­tag aus dem Schlaf ge­­rissen werden. 
Der äl­­tes­­te noch erhaltene Kirchturm ist jener von Sant’Apollinare Nuovo in Ravenna aus dem 6. Jahrhundert. Der höchste Kirchturm der Welt steht mit einer Höhe von 161,5 Meter in Ulm. Er wird in ein paar Jahren durch den Turm der Sagrada Familia in Barce­lona abgelöst, denn 172,5 Meter hoch soll diese Konstruktion am Ende in den Himmel ragen. Der höchste Kirch­turm der Schweiz ist jener des Berner Münster, der sich mit seinen 100 Metern gegenüber dem Turm der Sagrada Fa­­mi­­lia aber recht bescheiden ausnimmt. 
Paul Martone 

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