
Am 12. November 2024 wurde bekannt, dass das Oberhaupt der Anglikanischen Kirche, Erzbischof Justin Welby (68) vom Amt des Erzbischofs von Canterbury zurücktrete.
Mit diesem Rücktritt und auch 2022 mit den Feierlichkeiten der Beerdigung von Queen Elisabeth II. und 2023 durch die Krönung von Charles III. rückte eine Kirche in den Fokus des Interesses, die in der Schweiz nicht sehr bekannt ist: Die Anglikanische Kirche.

Ein Blick in die Geschichtsbücher
Die Anglikanische Kirche hat eine reiche Geschichte. Sie entstand im 16. Jahrhundert nach dem Bruch von König Hein-rich VIII. und dem Papst. Der König sagte sich von der römisch-katholischen Kirche los, um seine Scheidung von Katharina von Aragon zu erreichen, damit er Anne Boleyn heiraten und mit ihr Nachkommen zeugen kann. Er selbst wurde Oberhaupt der neu gegründeten Kirche, die er nach seiner eigenen Interpretation der Bibel gestaltete. Die heutige Form der Anglikanischen Kirche ist geprägt von einer Vielzahl von Gemeinschaften, die sich innerhalb der Kirche gebildet haben, z. B. die High Church (stark katholisch geprägt), Low Church (eher evangelisch geprägt) und Broad Church). Weltweit zählt die anglikanische Kirche nach unterschiedlichen Angaben zwischen 77 und 85 Millionen Mitglieder in rund 500 Diözesen. Die Bischöfe werden auf Vorschlag des Premierministers vom britischen Monarchen ernannt.
In der Schweiz existieren heute neun ständig betreute Gemeinden (permanent chaplaincies) in Basel, Zürich, Bern, Genf, Lausanne, Vevey, Montreux, La Côte (Gingins) und Lugano einen Swiss Archdeaconry genannten Sprengel der Diözese Europa mit Sitz in Gibraltar, die 1980 als eigenständiges Bistum der Kirche von England errichtet wurde.

Der ökumenische Rat der Kirchen
ÖRK-Mitgliedskirchen finden sich in allen Regionen der Welt. Auch die anglikanische Kirche gehört dazu.

Der Oberste Gouverneur der Kirche von England (englisch: Supreme Governor of the Church of England) ist das nominelle Oberhaupt der Church of England (Kirche von England). Das Amt wird vom britischen Monarchen bekleidet.Auch wenn die Autorität des Monarchen über die Church of England weitestgehend zeremoniell ist, so ist die Position noch immer von grosser Bedeutung für die Kirche und wird meistens symbolisch wahrgenommen. Als Oberster Gouverneur der Church of England ernennt der Monarch formell hochrangige Kirchenvertreter, aufgrund der Vorschläge des Premierministers, welcher wiederum von Kirchenoberen beraten wird. (Wikipedia)

Logo der Church of England

Kathedrale von Canterbury, Sitz des anglikanischen Primas. Foto: © by_tokamuwi_pixelio.de
Gemeinsamkeiten und grosse Unterschiede
1. Bibelverständnis
Die wichtigste Glaubensquelle ist für alle Christen die Bibel. Diese wird in der anglikanischen und in der römisch-katholischen Kirche durch zwei «Brillen» gelesen, die Brille der Tradition – was die Kirchenväter und Kirchenmütter bereits aufgeschrieben haben, die altkirchlichen Glaubensbekenntnisse – und auch durch die Brille der Vernunft. Die anglikanische Gemeinschaft lehrt, dass neben der Heiligen Schrift zugleich die römisch-katholische Tradition für Christen bindend ist.
2. Kirchenverständnis
Die Anglikaner sehen sich als Teil der einen, heiligen, katholischen (allumfassenden), apostolischen Kirche. Sie betrachten jedoch – ebenso wie die evangelischen Kirchen – alle Kirchen als gleichberechtigt und gleichwertig.
Ganz anders die katholische Kirche: Sie versteht sich als alleinige wahre Kirche, die «die Fülle der Heilsmittel besitzt». Die katholische Kirche hält jedoch fest, dass auch ausserhalb der sichtbaren Grenzen der katholischen Kirche bedeutende Elemente oder Güter, aus denen insgesamt die Kirche erbaut wird, existieren können: das geschriebene Wort Gottes, das Leben der Gnade, Glaube, Hoffnung und Liebe und andere innere Gaben des Heiligen Geistes und sichtbare Elemente.
3. Papstamt
Katholiken sehen im jeweiligen Papst den Nachfolger des Apostels Petrus – und somit das von Jesus Christus bestimmte Oberhaupt ihrer Kirche und den Granat der Einheit.
Eine solche zentralisierte weltweite Struktur der Autorität kennt die Anglikanische Gemeinschaft nicht. Jedes Land, jede Provinz hat einen Bischof als Kirchenoberhaupt, dem die tägliche Leitung obliegt. Ihnen ist jedoch ein Beratungs- und Entscheidungsgremium aus Priestern und Laien zur Seite gestellt.

Der Erzbischof von Canterbury als der oberste geistliche Leiter der Kirche besitzt kein Weisungsrecht gegenüber den anderen Kirchen der Anglikanischen Gemeinschaft. Er beruft jedoch wichtige Konferenzen der Bischöfe aller anglikanischen Kirchen ein.
4. Amtsverständnis
Die apostolische Sukzession oder apostolische Nachfolge hat eine generelle Bedeutung für das geistliche Amt in der katholischen Kirche. Mit dem Weihesakrament erhalten Bischöfe, Priester und Diakone für immer eine besondere Prägung Gottes für ihren Dienst. Diese Weihe kanne in der römisch-katholischen Kirche nur Männern gespendet werden.
Auch die Anglikanische Gemeinschaft hat diese Weihekette. Sie wird von der römisch-katholischen Kirche jedoch nicht anerkannt. Die kirchlichen Ämter (Diakon, Priester, Bischof) sind in den meisten anglikanischen Kirchen für Männer und Frauen offen.
5. Eucharistie oder Abendmahl
Ganz eng beieinander sind Anglikaner und Katholiken mit Blick auf die Eucharistie.
In beiden Kirchen darf der Eucharistie nur ein geweihter Priester bzw. Priesterin vorstehen. Nur er/sie kann im Namen Jesu Brot und Wein verwandeln in den wahren Leib und das wahre Blut Christi. Während in der katholischen Kirche Nicht-Katholiken nicht zur Eucharistie zugelassen sind, dürfen in anglikanischen Gottesdiensten alle getauften Christen daran teilnehmen.
6. Sakramente
In der römisch-katholischen Kirche gibt es sieben Sakramente: Taufe, Eucharistie, Firmung, Beichte, Ehe, Priesterweihe und Krankensalbung.
Bei den Anglikanern existieren zwei Sakramente und fünf sakrale Handlungen. Taufe und Eucharistie sind von Christus selbst eingesetzt worden. Die fünf anderen sind zwar besondere, aber spezielle Handlungen, die vielleicht nicht jeder in Anspruch nehmen möchte.
7. Persönliche Lebensführung
Die Ehe ist sowohl in der katholischen als auch in der anglikanischen Kirche ein Bund zwischen einem Mann und einer Frau. Nach katholischem Verständnis wird dieser Bund vor Gott geschlossen und dauert bis zum Tod. Deshalb kennt die katholische Kirche keine Ehescheidung, sondern nur eine Annulation der Ehe, d. h. eine Ehe wird aus rechtlichen Gründen als ungültig erklärt. Eine Eheschliessung zwischen zwei Menschen desselben Geschlechts ist nicht möglich, seit 2023 können Priester gleichgeschlechtliche Paare jedoch segnen.
Seit 2002 ist es in der Anglikanischen Kirche möglich, nach geschiedener Ehe wieder kirchlich zu heiraten, falls die neue Beziehung nicht zum Zusammenbruch der ersten Ehe beigetragen hat. Seit 2023 können in Gottesdiensten der Church of England homosexuelle Paare gesegnet werden.

Die Anglikanische Gemeinschaft befindet sich nicht nur in England. Heute bilden neun ständig betreute Gemeinden (permanent chaplaincies) in Basel, Zürich, Bern, Genf, Lausanne, Vevey, Montreux, La Côte (Gringins) und Lugano einen Swiss Archdeaconry genannten Sprengel der Diözese Europa mit Sitz in Gibraltar, die 1980 als eigenständiges Bistum der Kirche von England errichtet wurde.
8. Marien- und Heiligenverehrung
Die römisch-katholische Kirche verehrt Maria, die Mutter Jesu, als «Himmelskönigin» Muttergottes und Mutter der Kirche. Eine Marienverehrung gibt es auch in der Anglikanischen Kirche, besonders in der High Church. Anglikaner sehen Maria als Beispiel der Heiligkeit, des Glaubens und des Gehorsams und daher als Vorbild für alle Christen. Die Dogmen von der Unbefleckten Empfängnis und der leibhaftigen Aufnahme Mariens in den Himmel sind für Anglikaner nicht bindend. Bei der Heiligenverehrung in der katholischen Kirche werden verstorbene Glaubensvorbilder, die von der Kirche heiliggesprochen wurden, gebeten, bei Gott Fürsprache für den Gläubigen zu halten. In der anglikanischen Kirche werden die Heiligen verehrt für das, was sie getan haben, doch werden sie nicht als Mittler betrachtet, sondern als Vorbilder.

zum Beispiel: Thomas Morus
9. Zölibat
In der katholischen Kirche ist der Zölibat für Priester und Ordensleute als Zeichen der ungeteilten Nachfolge Christi verpflichtend.
Diese Verpflichtung zum priesterlichen Zölibat gibt es in der Anglikanischen Kirche nicht: Priester können heiraten und eine Familie gründen. Priester, die anglikanischen Orden angehören, leben jedoch zölibatär.
10. Ökumene
Geschichtlich bedingt war das Verhältnis zwischen beiden Kirchen lange sehr angespannt. Die Katholiken verloren alle ihre staatlichen Rechte, und die Gleichberechtigung von Katholiken wurde erst im 19. Jahrhundert durchgesetzt. 2015 wurde ein Gesetz von 1701 angepasst, das jeden von der britischen Thronfolge ausschloss, der «die päpstliche Religion bekennt oder einen Papisten heiratet». Seit fünf Jahren dürfen englische Königinnen und Könige einen Katholiken oder eine Katholikin heiraten – sie selbst müssen jedoch weiterhin Anglikaner sein.
Heute liegt die Zusammenarbeit zwischen Katholiken und Anglikanern beiden Kirchen am Herzen. Zwischenzeitlich gehegte Hoffnungen auf eine Wiedervereinigung beider Kirchen wurden jedoch in den letzten Jahren durch Entscheide der Anglikanischen Kirche gedämpft, wie die Zulassung von Frauen zur Priester- und Bischofsweihe und auch die Möglichkeit der zweiten Eheschliessung nach einer Scheidung. «Der Herr ruft jeden von uns auf, ein Baumeister der Einheit zu sein, und auch wenn wir noch nicht eins sind, darf uns unsere unvollkommene Gemeinschaft nicht daran hindern, gemeinsam zu gehen», so Papst Franziskus.
Paul Martone