«Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf!»

Die Ferien, die manche in den kommenden Monaten geniessen können, verwenden viele um auszuschlafen oder verpassten Schlaf nachzuholen.
Der Schlaf ist für die Gesundheit jedes Menschen sehr wichtig, die Schlafdauer sollte täglich zwischen sechs und sieben Stunden liegen. Die Liste der Krankheiten, die durch zu wenig Schlaf entstehen können, ist lang. Von Konzentrationsschwäche über die verminderte Leistung des Gehirns bis hin zu schlechter Laune, Depressionen und Sekundenschlaf ist dort alles zu finden. Ein Mensch, der nicht schlafen kann, wird auf Dauer unausstehlich und raubt auch seiner Umgebung den Schlaf.
Das schlafende Mängelwesen
So wichtig der Schlaf für die körperliche und damit auch seelische Gesundheit des Menschen ist, so wenig ist er bisher ein Thema in der Theologie und der Predigt. «Wer schläft, sündigt nicht, wer vorher sündigt, schläft besser!», soll Giacomo Casanova gesagt haben, aber diese Aussage ist wohl nicht biblisch begründbar. In der Bibel finden wir aber hie und da Anmerkungen zum Schlaf. Seine Bewertung fällt in der Bibel aber zwiespältig aus. «Im Christentum und anderen monotheistischen Religionen gibt es einen omnipräsenten und allmächtigen Gott, der sich einen Moment der Schwäche oder Unaufmerksamkeit nicht leisten kann», erklärt die Kulturwissenschaftlerin Karoline Walter in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur. Als vollkommenes Wesen brauche Gott keinen Schlaf – und der Mensch, das Mängelwesen, soll sich diesem Ideal zumindest annähern. So heisst es schon auf den ersten Seiten der Heiligen Schrift, dass Gott nach der Beendigung seines Schöpfungswerkens «ruhte» (Gen 2. 3) und im Psalm 127 steht zu lesen: «Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf» (Psalm 127, 2), Das Alte Testament redet auch von einem sicheren und ruhigen Schlaf, vom erfrischenden Schlaf (Sprichwörter 3. 24) und es wird auch vor allem gewarnt, was diesen stören könnte, wie etwa die Sorge um das Geld (Sirach 31.1). Es warnt aber auch vor zu vielem Schlafen: «Wie lang, du Fauler, willst du noch daliegen, wann willst du aufstehen von deinem Schlaf? Noch ein wenig schlafen, noch ein wenig schlummern, noch ein wenig die Arme verschränken, um auszuruhen. Da kommt schnell die Armut über dich, die Not wie ein bewaffneter Mann» (Sprichwörter 6, 9–11; 20. 13).

Der schlafende Prophet Elija
Ein Blick auf den Propheten Elija zeigt uns die Wichtigkeit des Schlafens. Dieser Prophet, von dem das Alte Testament ausführlich berichtet, war ein Mann, der sich mit Leib und Seele der Sache Gottes verschrieben hatte. Um dem Glauben an Jahwe zum Durchbruch zu verhelfen, scheut er sich nicht, sich mit den heidnischen Baalspriestern auf einen «Wettbewerb» einzulassen, um den wahren Gott zu ermitteln. Elija gewinnt schliesslich, denn Jahwe nimmt seinen geopferten Stier gnädig entgegen und er lässt die Baalspriester kurzerhand töten (1. Könige 18). Dies entfacht den Zorn der Königin Isebel, die ihn hinrichten lassen will, so dass der Prophet von Angst getrieben aus Israel fliehen muss. Auf seiner Flucht fällt er in eine schwere Depression, wir würden heute von einem Burnout sprechen, seine bisherige Lebenswelt fällt in sich zusammen. «Er selbst ging eine Tagesreise weit in die Wüste hinein. Dort setzte er sich unter einen Ginsterstrauch und wünschte sich den Tod. Er sagte: „Nun ist es genug, Herr. Nimm mein Leben; denn ich bin nicht besser als meine Väter.” Dann legte er sich unter den Ginsterstrauch und schlief ein» (1. Könige 19, 5). Wir können wohl sagen, er gab auf, wollte und konnte nicht mehr. Sein Schlaf war eine Flucht, weil er sich der Aufgabe, die Gott ihm als seinem Propheten gestellt hatte, nicht mehr gewachsen fühlte. Aber genau durch diesen Schlaf unter dem Ginsterstrauch fand er seine Berufung und seine Kraft wieder: «Ein Engel rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! Als er um sich blickte, sah er neben seinem Kopf Brot, das in glühender Asche gebacken war, und einen Krug mit Wasser. Er ass und trank und legte sich wieder hin». Gott gab ihn jedoch nicht auf, sondern liess Elija durch seinen Engel ein zweites Mal wecken und schickte ihn auf eine vierzigtägige Wanderschaft zum Gottesberg Horeb. Hier begegnete er dann endlich seinem Gott, der sich ihm nicht in Feuer, Sturm und Donner zeigte, sondern in einem sanften, leisen Säuseln (1. Könige 19, 12). Ein wahrlich sympathisches Bild, wie in der jüdischen Tradition aus einem Propheten, der mit Leidenschaft für den Herrn eingetreten war, durch das Ausruhen unter dem Ginsterstrauch, die Stärkung durch den Engel und schliesslich durch die Begegnung mit Gott am Horeb ein Mittler zwischen Gott und den Menschen hervorgeht, der sogar zum Vorläufer des erwarteten Messias wird. Auch im Neuen Testament wird Elija mehrmals erwähnt. Er erscheint gemeinsam mit Mose bei der Verklärung Jesu und auch bei der Kreuzigung auf Golgotha. Manche missverstanden den letzten Schrei Jesu: «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?» («Eloï, Eloï, lema sabachtani?), als Hilferuf nach Elija, der kommen möge, um ihn zu retten.
«Mich befreit es», so war in einer Predigt zu lesen, «dass ich bei Gott nicht immer der Starke sein muss. Dass ich nicht nur Feuer und Flamme sein kann, wenn ich stark bin. Sondern, dass Gott auch meine Schwachheit kennt, ihr begegnet und sie sogar gebraucht. Es ist so grossartig, einem solchen Gott zu gehören. Der mir Höhen schenkt und mich in den Tiefen nicht alleine lässt».

Schlafen im Neuen Testament
Auch das Neue Testament gibt Szenen wieder, in denen vom erholsamen Schlaf die Rede ist. So lädt Jesus seine Jünger nach ihrer Rückkehr von der Mission ein, an einen einsamen Ort zu kommen und sich ein wenig auszuruhen (Mk 6, 31) und auch er selber brauchte Ruhe und Schlaf, manchmal auch bei den unpassendsten Gelegenheiten, denn ausgerechnet als ein Seesturm seine Jünger im Boot erwischt und hin und her schleudert, schläft Jesus selig im Boot bis die Jünger ihn schliesslich wecken und er den Sturm stillt (Mk 4, 38/Lk 8, 23).
Elisabeth Birnbaum schreibt dazu: «Ruhen und aufatmen ist also nicht nur erlaubt, sondern auch wichtig und sogar göttlich geboten».
«In Frieden schlafen» zu können, ist aber auch eine Gunst, die nicht allen Menschen zuteil wird. Die Jünger schliefen aber wohl nicht immer nur aus Müdigkeit ein, sondern auch um der grausamen Wirklichkeit zu entfliehen. So kann man jedenfalls die Stelle deuten, in der berichtet wird, dass die Apostel sich in den Schlaf flüchten, weil sie sich dem angekündigten Leiden Jesu nicht gewachsen fühlen. (Mt 26, 36–46).
Am Herzen Jesu ruhen
Eine schöne Figurengruppe zeigt den Apostel Johannes wie er sich an Jesus anlehnt, um an seiner Seite zu ruhen, wie es der Bericht über das Letzte Abendmahl beschreibt. Es ist das Bild einer innigen Verbundenheit und Freundschaft, die begriffen hat, was der heilige Augustinus meinte als er sagte, dass unser Herz unruhig sei, bis es ruhe in Gott. Ruhen am Herzen Gottes, wir können auch vom Ruhen in Gott reden, heisst nicht, dass die Menschen dadurch wunschlos glücklich sind und allen irdischen Freuden abschwören, oder sorglos in den Tag hineinleben können, denn auch ein Ruhen am Herzen Gottes befreit uns nicht von allen Sorgen des Lebens. Wer am Herzen Gottes ruht, spürt, dass Gott immer bei uns ist: «Siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt!», verspricht uns Christus. Dies ist der letzte Grund dieser Ruhe, die uns aus dem Herzen Gottes zufliesst. Und dieser Grund ist es denn auch, der es mir ermöglicht mich in Frieden niederzulegen und zu schlafen: «denn du allein, Herr, lässt mich sorglos wohnen» (Psalm 8, 9). Ruhen am Herzen Gottes ist ein Zeichen tiefster gegenseitiger Liebe zwischen Gott und Mensch. Hier findet der Mensch seinen Ruhepol und seine Oase, in der er entspannen kann. «Denn wir, die wir gläubig geworden sind, kommen in seine Ruhe» (Heb 4,3).

Der schlafende Josef
Schlafen und Träumen sind keine Zeichen von Faulheit und Ausblenden der Wirklichkeit. Im Schlaf und in seinen Träumen ist der Mensch wirklich Mensch, ohne Maske, denn im Schlaf kann der Mensch niemandem etwas vormachen. Da der Mensch im Schlaf ganz offen ist, bildet er auch für Gott eine Eingangstür, durch die er den Menschen ansprechen kann. Ein schönes Beispiel dafür ist im Neuen Testament Josef, der Bräutigam Marias und Pflegevater Jesu. Wie hat ihm Gott seinen Willen geoffenbart? Jeweils im Schlaf! Die Hochzeit mit Maria, die Flucht nach Ägypten, die Rückkehr nach Israel: Alle drei Lebenswenden sah Josef im Traum, als Einladung Gottes. Und er befolgte die Weisungen treu. Der treusorgende Josef wurde nicht umsonst zum geschätzten Patron der Kirche. Papst Franziskus hat für 2021 ein Josefsjahr ausgerufen und diesem Heiligen unter dem Titel «Patris corde – Mit väterlichem Herzen» ein eigenes Schreiben gewidmet, in dem er festhält, dass er den heiligen Josef sehr liebe, «denn er ist ein starker und ein schweigsamer Mann. Auf meinem Schreibtisch habe ich ein Bild des heiligen Josefs, der schläft. Und schlafend leitet er die Kirche! Ja! Er kann es, wir wissen das. Und wenn ich ein Problem habe, eine Schwierigkeit, dann schreibe ich es auf ein kleines Blatt und schiebe es unter den heiligen Josef, damit er davon träumt! Das bedeutet: damit er für dieses Problem betet!»
Auch dem heiligen Josef wird es wohl manchmal den Atem verschlagen haben, als er im Traum hörte, was Gott von ihm verlangte. Er hat es aber immer getan: Er stand auf und tat, wie der Engel es ihm aufgetragen hatte. Die Kraft, immer wieder zum Willen Gottes Ja zu sagen, hatte er nicht aus sich selber, er hat es sich nicht selber antrainiert. Er konnte es, weil er darauf vertraute, dass Gott schon weiss, warum er dieses und jenes von ihm fordert.
Ignatius von Loyola gibt uns in seinen «Geistlichen Übungen» den guten Ratschlag, abends mit dem Gedanken einzuschlafen, mit dem man morgens aufwachen möchte. Die erste Aufmerksamkeit beim Aufwachen soll man auf diesen Gedanken richten und schauen, was einem dabei geschenkt wird. Auf diese Weise wird die befreite und befreiende Wirkung des Schlafes und den damit verbundenen Träumen, in den Dienst der Gotteserfahrung gestellt.
Und der heilige Thomas von Aquin empfiehlt gegen Schmerzen und Traurigkeit nicht nur Tränen, Mitleid und der Wahrheit ins Auge sehen, sondern auch baden und schlafen!
Paul Martone