Frühgeburten

Wenn Kinder gehen müssen, bevor sie richtig angekommen sind


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«Guter Hoffnung sein» – so wird das Schwan­gersein auch bezeichnet. Leider wird diese Hoffnung nicht immer erfüllt. Eine Fehlgeburt ist ein unfassbarer Schicksalsschlag, ganz egal in welcher Phase der Schwangerschaft sie eintritt. Oft passiert sie zudem völlig unerwartet. Obwohl es viele betroffene Frauen und Paare gibt, ist das Thema Fehlgeburt in unserer Gesellschaft immer noch ein Tabu. Schon der Begriff «Fehlgeburt» weckt ungute Gefühle, denn vie­le Frauen empfinden eine Fehlgeburt als persönliches Versagen. Oft taucht dann die Frage auf: «Was habe ich falsch gemacht?» Die Antwort ist ganz einfach: «Nichts, absolut nichts.» Frauen, die eine Fehlgeburt erleben, brauchen kei­ne Schuld- oder Schamgefühle zu haben. Umso wichtiger ist es darüber offen zu reden und die Trauer zuzulassen. Eine Fehlgeburt kann ein sehr einschneidendes und unter Umständen sogar äusserst trau­­­matisierendes Erlebnis darstellen. Viele verlieren jegliches Vertrauen in ihren Körper. Sie sind enttäuscht, wütend und haben Angst, denn eine Mamma musste ein Kind gehen lassen, ein Lebe­wesen, das gewünschte und ersehnte Baby. 

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Sternenkinder
«Sternenkinder» ist eine liebevolle Be­­zeich­nung für Kinder, die während der Schwangerschaft, bei der Geburt oder kurz nach der Geburt sterben. In seiner ursprüng­lichen Bedeutung beschreibt der Name Ster­­nenkind vor allem sehr kleine Kinder, die noch im Bauch während der ersten Wochen der Schwangerschaft sterben. 
Jede Minute erleiden weltweit vierundvierzig Frauen eine Fehlgeburt. In der Schweiz wird geschätzt, dass jede fünfte Schwangere davon betroffen ist. Trotzdem besteht das Schweigen über dieses schmerzhafte Ereignis fort und in der Be­­­treuung gibt es Lücken. Seit einigen Jah­­ren ändert sich das. Denn die Leute be­­kommen weniger Kinder, entscheiden sich aber bewusster für eine Schwanger­schaft, in die auch die Väter stärker eingebunden sind.
Wenn sich ein Kind ankündigt und die Eltern es willkommen heissen, entwickeln sie oft schon früh eine Vorstellung davon, wie das künftige Leben mit ihm aussehen wird. Es erobert sich seinen Platz in der Familie. Manchmal kommt es als Wunsch­kind «wie gerufen», manchmal ist die erste Begrüssung nicht ohne Sorgen. In jedem Fall wächst eine besondere Verbundenheit mit diesem Kind, dessen Schick­sal sich mit dem eigenen Lebens­weg verknüpft hat.

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Niemals sonst sind sich Menschen körperlich so nahe wie das ungeborene Kind und seine Mutter. In ihrem Bauch ist das Ungeborene körperlich und seelisch von ihr umhüllt. Es empfängt neben den lebensnotwendigen Nährstoffen und dem Sauerstoff beispielsweise auch Glücks- und Stresshormone und ist so direkt von den Erlebnissen und Gefühlen seiner Mut­­ter betroffen. Viele Mütter nehmen frühzeitig Kontakt mit ihrem Kind auf: Es entwickelt sich eine ständige leise, be­wusste wie auch unbewusste Zwie­sprache zwischen beiden. Auch viele Väter und die Geschwister beteiligen sich an diesem frühen Austausch.
Wenn das Kind einer Mutter stirbt, unabhängig in welchem Alter, ist es ein Stück weit so, als ob sie selbst stirbt. So und ähnlich drücken verwaiste Mütter ihr Emp­finden bei der Nachricht aus, dass ihr Kind verstorben ist. Wenn Eltern ihr Kind durch eine Fehlgeburt oder Totgeburt verlieren, gehört dies zum Traurig­sten, was ihnen widerfahren kann. Sie haben sich auf ein langes Leben mit ihm eingestellt und müssen nun nach kurzer Zeit Abschied nehmen – ein tiefer Einschnitt in ihre Lebensgeschichte und eine seelisch sehr belastende Situation. Die furchtbare Nachricht ist zunächst unbegreiflich: Wie wird es weitergehen? Wie soll man den Schmerz ertragen? Was ist zu tun? Woher die Kraft nehmen, das tote oder sterbende Kind zur Welt zu bringen? Die erste Reaktion ist häufig eine Art Fluchtreflex: So schnell wie möglich die unerträgliche Situation beenden, be­­freit werden von dem, was man sich nicht vorstellen kann.

Auseinandersetzung mit dem Tod 
Der frühe Verlust eines Kindes zwingt auch zur Auseinandersetzung mit dem Sterben, vielleicht auch mit dem eigenen Tod – eine Erfahrung, die Spuren hinterlassen wird. Für manche Eltern ist es das ­erste Mal, dass sie dem Tod so direkt begegnen. Wenn sie ihre Trauer nicht mit ihren nächsten Mitmenschen teilen können und das Leben um sie herum weitergeht, als wäre nichts gewesen, fühlen sich Eltern oft einsam. Dies passiert häufig beim frühen Verlust ihres ungeborenen Kindes, das noch niemand ausser ihnen kennengelernt hat. In dieser Situation ist es für die meisten Menschen ein Segen, wenn sie nahe Freundinnen, Freunde oder Verwandte an ihrer Seite haben, die sie durch die kommenden Tage, Wochen und Monate begleiten. Auch die Unter­stützung der betreuenden Hebamme be­­­deutet meist eine grosse Entlastung.Bei Schwangerschaftsberatungsstellen können Eltern Rückhalt bekommen, um sich darüber klar zu werden, wie es weitergehen soll und Hilfe, das Erlebte zu verarbeiten. Diese Stellen können meist auch über weitergehende professionelle Angebo­­te vor Ort informieren.

Trauer ist und kann nicht bewertet werden, in ihr gibt es kein richtig oder falsch. Daher ist es unangemessen den Verlust eines anderen Menschen zu bewerten. Jeder Verlust ist so traurig und schmerzhaft, wie es sich für die betroffenen Eltern und trauernden Geschwisterkinder individuell anfühlt. Die Trauer von Müttern, deren Kind verstorben ist, wird sie ein Leben lang begleiten. Es ist ein langer Weg im Durch­leben der Trauer, dem Weiterleben mit dem Unfassbarsten. Es braucht viel Zeit, Geduld und Trost – durch begleitende Personen im Umfeld, aber auch vor allem durch die verwaiste Mutter mit sich selbst. Die Trauer, um ein Kind ist unbeschreiblich gross, weil die Liebe zu den eigenen Kindern vielleicht auch eine der stärksten Kraft im Muttersein ist. Und diese Mutterliebe bleibt, auch über den Tod hinaus.

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Hilfreicher Glaube
Trauer von betroffenen Familien, in de­nen ein Kind verstorben ist, braucht Em­­pathie,
Wertschätzung, Geduld und Räu­me, in der die Trauer und die Erinnerung an das verstorbene Kind gelebt werden darf. Die Bestattung eines tot geborenen Kindes ist für die Eltern besonders wichtig, um sich würdevoll von ihrem Kind zu verabschieden und die tiefe Trauer zu verarbeiten. Kinder, die nach der 22. Schwangerschaftswoche (bzw. ab 500 Gramm Gewicht) zur Welt kommen, werden in einem kleinen Sarg auf dem Friedhof beigesetzt. Für die Be­­stattung von Kindern, die vor diesem Zeit­­punkt tot geboren werden, gibt es kein standardisiertes Verfahren und keine Mel­depflicht. Die Eltern haben aber mehrere Möglichkeiten ihr Kind zu bestatten: in den verschiedenen Arten von Gräbern, oder auf einer Kinderwiese, die es auf manchen Friedhöfen gibt.
In dieser schweren Zeit der Trauer kann der Glaube helfen. Hie und da fragen sich die Eltern, ob es auch die Möglichkeit gibt, ihr zu früh verstorbenes Kind in einer kirchlichen Feier zu beerdigen, besonders wenn es starb, bevor es getauft werden konnte. Angesichts eines so grossen Ver­­l­­ustes kann irdischer kein wirklicher Trost sein. Zu meinen, unersetzliche Verluste könne man beheben, degradiert sie, nimmt we­­der die leidende Person noch das Erlit­tene ernst. Die Frage nach Gott kommt in paradoxer Weise zum Ausdruck im Warum und zugleich in der Frage: Wo ist das verstorbene Kind? Viel­fach ist der Ver­lust von der Angst begleitet, ein ungetauftes Kind, würde von Gott nicht aufgenommen. Die Eltern fühlen sich von Gott verlassen, wün­­schen sich aber den Zu­spruch, dass ihr Kind bei Gott geborgen ist. 

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Es ist eine wichtige Aufgabe der Seelsor­ge, Menschen in dieser schweren Zeit des Loslassens und des Abschieds zu be­­gleiten. Deshalb kann auf Wunsch der Angehörigen eine Beerdigungsfeier in einer Kirche oder auf dem Friedhof für jeden Menschen gehalten werden, dessen Lebensweg zu Ende gegangen ist, egal wie alt oder wie jung jemand ist. Dies gilt selbst dann, wenn das Kind nicht getauft werden konnte, denn es ist ein vollwertiger Mensch, von Gott ge­liebt und gewollt. Als Kirche glauben wir, dass jedes mensch­liche Leben vom ersten Augenblick an heilig und wertvoll ist: «Noch ehe ich dich im Mutterleib formte, habe ich dich ausersehen, noch ehe du aus dem Mutterschoss hervorkamst, habe ich dich geheiligt» (Jeremja 1,5).

Foto: © by_Gerhard Hermes_pixelio.de

Von Anfang an ist der ungeborene Mensch eine eigene Person und soll daher auch würdevoll nach einem Gottesdienst, in dem auch der Name des Kindes genannt wird, beigesetzt werden. Das signalisiert den Eltern, dass ihr geliebtes Kind als Person anerkannt und Wertschätzung findet und bei Gott einen Platz hat. Mit dem Namen verbunden bleibt neben dem grossen Schmerz auch der Wert des Kindes für die Eltern, die Vorfreunde und was sie bis dahin auch an Schönem durch das Kind erfahren durften. Antoine de Saint-Exupéry hat das wunderschön beschrieben: «Jetzt ist dein Herz voller Trauer. Doch wenn du dich getröstet hast, wirst du froh sein, mich gekannt zu haben».
pam

 

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