Hunger frisst Zukunft

Die Fastenzeitlädt zum notwendigen Umdenken auf

Foto: Fastenaktion

Unter diesem Motto starten Fastenaktion und HEKS mit der diesjährigen Öku­me­­nischen Kampagne zur Fastenzeit einen neuen Drei-Jahres-Zyklus zum Thema Hunger bekämpfen. Im ersten Jahr zeigen diese beiden Organisationen auf, dass weltweit genügend Kalorien produziert würden, um alle Menschen satt zu machen. Trotzdem leidet jeder zehnte Mensch an Hunger und jeder dritte Mensch ist unterernährt.
Alle 13 Sekunden stirbt auf der Welt ein Kind an den Folgen von Hunger. Aber auch die Erwachsenen leiden. Weltweit hungerten im Jahr 2023 rund 733 Mil­lionen Menschen; 2,8 Milliarden – also jeder dritte Mensch auf dieser Welt – konnten sich 2022 keine gesunde Er­­nährung leisten. 

Hunger hat Folgen
Gerade bei Kindern, schwangeren und stillenden Frauen können Hungerzeiten zu langfristigen Beeinträchtigungen führen. Blutarmut oder einseitige Ernährung führen zu verringerter Leistungsfähigkeit, geistigen und körperlichen Entwick­lungs­­verzögerungen, Konzen­trations­ver­lust, Schwächung des Immunsystems, zur Häu­fung von Infektionskrankheiten bis hin zu Erkrankungen mit tödlichem Ver­­lauf. 
Dass rund ein Drittel der Weltbevöl­­ke­rung chronisch zu wenig Nahrung hat oder sich nur qualitativ minderwertig er­­nähren kann, ist eine Folge von globaler Ungleichheit, Armut, Diskriminierung und der zunehmenden Machtkonzentration von Agrarkonzernen. So formulierte es der Uno-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Michael Fakhri, in einem Bericht Ende 2022. Denn eigentlich werden weltweit genügend Nah­­rungs­­mittel produziert, um alle Men­schen dieser Erde ausreichend und ge­­sund zu ernähren. Hunger ist also kein Produktions-, sondern ein Verteil­prob­lem. Dieses hängt mit der globalen in­­dustriellen Land­wirtschaft zusammen, die auf Profit­ma­ximierung ausgerichtet ist. Daraus ergibt sich ein Ernährungs­system, das sich nicht an der Erfüllung des Rechts auf Nahrung orientiert.

Notwendiges Umdenken
So sind viele Menschen im Globalen Sü­­den zu häufig gezwungen, sich einseitig nur von Weizen, Reis, Mais oder hochverarbeitetem billigem Fast Food zu er­­nähren, mit dem die Nahrungs­mittel­kon­zerne dank billiger Massenproduktion weit höhere Gewinne erzielen können als mit gesunden Frischprodukten. Dadurch fehlen diesen Menschen überlebenswichtige Nährstoffe – mit verheerenden Folgen für ihre Gesundheit. Könnte es sein, dass diese Situation mit Egoismus, Habgier und Privilegien zu tun hat?
Einige grosse Konzerne verdienen Geld wie Heu. Der weltweite Agrarhandel wird zu 90 Prozent von nur fünf Unternehmen kontrolliert. Ähnlich ist die Lage bei den hochverarbeiteten Lebensmitteln: Acht Firmen kontrollieren 53 Prozent des Mark­­­­tes, allen voran Nestlé aus der Schweiz. Über unser Land laufen 60 Prozent des weltweiten Getreidehandels. Mangel- und Unterernährung hängen aber auch mit der Erschwinglichkeit von Lebens­mitteln zu­­sam­men. 84 Prozent der afrikanischen Be­­­völkerung südlich der Sa­­hara (875 Mil­­lionen Menschen) können sich keine gesunde Nahrung leisten. Das Gleiche gilt für 71 Prozent der Bevöl­ke­rung Südasiens (aber nur für 1,6 Prozent in Europa).
Wie also lässt sich diese Situation verbessern? Punktuelle Hilfe in Hunger­kri­sen ist notwendig, aber sie löst die Ur­­sachen des chronischen Hungers nicht. Stattdessen braucht die Welt ein Um­­denken, hin zu einem neuen Land­wirt­schafts- und Ernährungssystem – eines, das nicht vom Profit einzelner Konzerne angetrieben wird, sondern auf das Recht der Menschen auf genügend ausgewogene und kulturell angepasste Nahrung fokussiert ist und die lokale Wirt­schaft und Bevölkerung stärkt. Der nachhaltige Ansatz, den Fastenaktion und HEKS in ihren Projekten verfolgen, ist eine kleinräumige Landwirtschaft auf der Basis von agrarökologischen Prin­zi­pien, die Bio­­diversität fördert und an lokale Ge­­gebenheiten angepasst ist. Parallel dazu braucht es eine Förderung der bäuerlichen Rechte auf Nahrung, Land, Saat­­gut, Wasser, Biodiversität so­­wie Mit­spra­­­che der kleinbäuerlichen Be­­völ­ke­­rung bei allen für sie relevanten po­­­­­li­ti­schen Prozessen und Abkommen.

Unser tägliches Brot
Wir alle kennen das Gebet, das Jesus uns zu beten gelehrt hat: Das Vaterunser. Es ist heute so aktuell wie zu seiner Entstehungszeit. Es zeigt, dass Gott für gesunde Nahrung sorgt, und der Mensch als Geschöpf die Aufgabe hat, sie zu erzeugen, zu erwerben und als Gabe zu verteilen.
Die bolivianische Theologin Heydi T. Ga­­larza Mendoza, hat zur ersten Bitte des Vaterunsers die einzelnen Worte ge­nauer angeschaut und interpretiert.

Unser…
Die Urtexte der Evangelien von Matthäus und Lukas weisen darauf hin, dass das Brot (die Speise), um das sie bitten, demj­enigen gehört, der die Bitte äussert: «unser Brot». In modernen Begriffen könn­­ten wir sagen: «Es ist ein Recht». Wenn es ihnen gehört, warum müssen sie dann darum bitten?
Wenn man dieses erste Wort so interpre­tiert, dass man um das bitten muss, was einem bereits gehört, dann bedeutet das, dass es einem weggenommen wur­de. Das, was «unser» ist, das Minimum an lebenswichtiger Nahrung, gehört uns nicht mehr.
Wo Armut herrscht, insbesondere wenn diese durch ungerechte Ursachen wie Kriege, Invasionen, Vertreibungen und heut­zutage durch die Klimakrise verursacht wurde, kommt es vor, dass Be­­völ­kerungsgruppen dessen beraubt werden, «was ihnen gehört». Das ist eine der schlimm­sten Formen von Unge­rech­tig­keit, denn wem «Nahrung und Was­ser» vorenthalten wird, dem wird das Le­­ben verweigert.

Jesus lebte in einem Gebiet, in dem die Nahrungsmittelproduktion stark vom Kli­ma abhing. So wie es Regen gab, gab es auch Winde, die Dürren verursachen konnten. Zu dieser Abhängigkeit von der Natur kam noch die Unterwerfung durch das damalige Imperium, das keine Skru­pel hatte, die Produktion der Provinzen in die zentralen Städte zu holen, so dass der Bevölkerung kaum Mittel zum Über­leben blieben. Hier wird deutlich, dass Jesus, wenn er um «unser Brot» bittet, dies nicht metaphorisch tut, sondern im Rahmen eines lebenswichtigen Gebets.

Brot …
Im biblischen Kontext bezieht sich der Ausdruck Brot auf Lebensmittel im All­­gemeinen, aber auch auf das, was täglich aus Weizen oder Gerste hergestellt wurde. Gerstenmehl wurde in Israel/Palästina am häufigsten verwendet. In der Bibel wird es oft erwähnt, im Jo­­han­nesevangelium zum Beispiel lesen wir: «Hier ist ein kleiner Junge, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische» (Joh 6,9). Wir wissen, was Jesus mit diesen Le­­bens­­mitteln gemacht hat: Das Brot, solidarisch geteilt, konnte mehr als 5000 Menschen sättigen.
So ist das gebrochene und geteilte Brot ein grundlegendes Element innerhalb der jüdisch-christlichen Tradition. Es betont, dass der zerbrechliche Zustand eines jeden Menschen gestärkt wird, wenn das Leben geteilt wird: Wenn du «den Hung­rigen stärkst und den Gebeugten satt machst, dann geht im Dunkel dein Licht auf und deine Finsternis wird hell wie der Mittag» (Jes 58,10). Deshalb ist die Er­­­fahrung des Essens von grundlegender Bedeutung, insbesondere das Essen in Gemein­schaft.
Zweifellos bringt Brot, beziehungsweise das Essen, Menschen zusammen und ist oft ein guter Vorwand, um einander nä­­herzukommen, sich gegenseitig kennenzulernen, einander zuzuhören, einander zu verstehen. Und wenn das Brot fehlt, ist einer der Gründe «die Versteinerung unserer Herzen, die die Solidarität vergessen haben» (Vandana Shiva). So kann man Gefahr laufen, um «unser Brot» zu bitten und zu vergessen, dass jemand an­­ders kein Brot hat.

Gib uns …
Wenn in diesem Gebet eines heraussticht, dann ist es, dass die Bitte nicht individuell formuliert ist. Die Bitte ist kollektiv, das «Wir» zählt. Denn wenn ich etwas habe und die anderen nicht, dann fehlt uns das Gemeinsame, das für die Aufrechterhaltung der Gerechtigkeit, für die Pflege und Regeneration des Lebens in ausgewogener Weise unerlässlich ist. 
Andererseits ist «gib» ein sehr wichtiges Verb in diesem Satz. Im Lukasevangelium steht es im Imperativ Präsens, der eine fortwährende Handlung einfordert, die nicht enden soll: dass es heute, morgen und übermorgen nicht an Brot mangelt.
In vielen Gegenden der Erde ist es un­­verständlich, dass ein Mensch nicht für jeden Tag etwas zu essen hat, denn wie es in Kohelet 9,7 heisst, essen die Men­schen freudig ihr Brot und trinken vergnügt ihren Wein. In anderen Teilen der Welt ist es jedoch fast alltäglich, dass Menschen keinen Zugang zu ihrem «täglichen Brot», ihrem täglichen Lebens­un­ter­halt, haben. Ein Beispiel dafür sind die Millionen von Menschen, die derzeit zur Migration gezwungen sind, unter an­­derem wegen Nahrungsmittelknappheit. In Bolivien sind Tausende von Vene­zo­laner:innen seit mehreren Jahren auf der Flucht, mit Geschichten, die sich wiederholen: «In Venezuela habe ich in einer Pizzeria gearbeitet. Ich habe nicht viel verdient und habe aufgehört zu essen, um meinen Töchtern Essen zu bringen. Jetzt, wo ich mein Land verlassen habe, muss ich auf der Strasse schlafen […], ich muss Hunger ertragen, Hunger tut weh.»
Das Gebet «Unser tägliches Brot gib uns heute» bedeutet auch, unser versteinertes Herz zu «entsteinern» und Mitgefühl für jene zu zeigen, deren «Hunger schmerzt» und die gesunden Alter­na­­tiven zum Fast Food suchen, das die Strassen und Handybildschirme überflutet. Das Herz zu «entsteinern» bedeutet, die kollektive Suche nach Ernährungs­souve­rä­nität, die das Leben und die biologische Vielfalt feiert, zu einem Lebens- und Hand­lungsprinzip zu machen. Im Wis­sen, dass es die Zeit von «Land, Wasser, Saatgut, Brot und Solidarität» ist. Das Herz zu «entsteinern» bedeutet schliesslich, für das tägliche Brot als kollektives Recht zu beten, das nicht nur bedeutet, tägliches Essen zu haben, sondern auch, dass «unser Brot» das Pro­dukt eines bewussten, aktiven Kon­sums ist und daher gerecht und fair verteilt werden muss.

Zusammengestellt von Paul Martone
Die Fotos im Dossier sind von Fastenaktion
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