Gedanken über diesen verkannten Heiligen
Ich habe obigen Titel einmal über einen Zeitungsartikel gesetzt. Klar, dass dieser mir einige Kritik eingebracht hat, denn schliesslich ist Josef ein Heiliger und zudem der Bräutigam von Maria und der Pflegevater Jesu. Auch ist er Patron der Arbeiter, Patron der Kirche, der Sterbenden, mehrerer Länder, bei Augenleiden, in Versuchungen und Verzweiflung, bei Wohnungsnot und noch einiges mehr.

Jahr des heiligen Josef
Daher ist natürlich mein provokativer Titel nicht angebracht, aber es ist doch so, dass viele Menschen in Josef nur einen alten Mann sehen, der in seinem Leben zu kurz gekommen ist und stets im Schatten von Maria stand und sich dann im Dunkel der Geschichte verliert, so nach dem Motto: «Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen!»
Diese Herabwürdigung tut dem heiligen Josef Unrecht, denn er ist viel mehr als der schweigende Dritte im Hintergrund und auch nicht der alte Depp, der von allen hintergangen und belächelt wird, über den man Witze macht und den man bedauert. Wer das denkt, verkennt Josef und seine Bedeutung für den christlichen Glauben. Gut, dass Papst Franziskus mit dem Ausrufen eines besonderen «Jahres des heiligen Josef», das am 8. Dezember 2020 begann und bis zum 8. Dezember 2021 dauern soll, seine Gestalt wieder ins Licht unseres Bewusstseins gerückt hat. In seinem Schreiben, das den Titel trägt «Patris corde» (mit dem Herzen eines Vaters) beschreibt der Papst den hl. Josef als «unauffälligen Mann, einen Menschen der täglichen, diskreten und verborgenen Gegenwart». Und doch sei Josef einer, «der in der Heilsgeschichte eine unvergleichliche Hauptrolle spielt».
Aber was wissen wir eigentlich vom heiligen Josef ? Nicht viel! Die Bibel berichtet nur sehr wenig von ihm und das Wenige könnte man natürlich auch noch kritisch hinterfragen. Ich möchte das hier nicht tun, sondern einfach ein paar Punkte aus Josefs Leben betrachten, wie sie uns in der Heiligen Schrift überliefert werden.

Ikonenmalerei, Sr Elisabeth,
La Maigrauge FR
Schwanger – aber nicht von ihm
Josef war der Sohn Jakobs bzw. Elis. Er stammte aus dem Haus von König David, aus dem nach dem Zeugnis des Alten Testamentes der Messias hervorgehen sollte. Trotz dieser königlichen Abstammung lebte und arbeitete Josef als ein-facher Zimmermann in Nazaret, ein Beruf, der ihn nicht reich machte, denn bei der Opferung Jesu im Tempel von Jerusalem brachten er und Maria zwei Turteltauben als Opfer dar, was als Opfergabe der Armen galt. In Nazaret verlobte sich Josef mit Maria, die wohl 14 Jahre alt war, was der damals üblichen Regelung im Judentum entsprach. Als Josef merkte, dass seine Verlobte schwanger ist, aber eben nicht von ihm, brach er nicht den Stab über Maria und verurteilte sie nicht. Vielmehr dachte er an eine stillschweigende Trennung, indem er ihr, wie nach dem Gesetz des Mose möglich, eine ein-fache Scheidungsurkunde ausstellt, weil dies menschlich am wenigsten verletzend ist. Aber, weil er nichts falsch machen wollte, schläft er noch einmal dar-über. Im Traum weiht ihn Gott durch einen Engel in das Geheimnis ein. Für Josef sind Träume nicht Schäume, viel-mehr weiss er, dass Gott auf vielfältige Weise zu uns spricht, hie und da eben auch in Träumen, die nicht immer leicht zu verstehen sind. Josef Ratzinger meinte dazu in einer Predigt: «Josef schläft, aber zugleich ist er fähig, den Engel zu hören. Es geht von ihm sozusagen das aus, was das Hohelied einmal sagte: “Ich schlief, aber mein Herz wachte” (Hld 5,2). Die Sinne ruhen, aber der Grund der Seele ist offen […], dass das Leben Gottes und seiner heiligen Engel an das Ohr seines Herzens dringt. In der Tiefe berührt sich eines jeden Menschen Seele mit Gott. Von innen her will er zu jedem von uns sprechen, ist er einem jeden von uns nahe».
Jesu Geburt
Josef stand auf und führte Maria heim. Während der Schwangerschaft musste das junge Paar in Josefs Heimatstadt Betlehem ziehen, um sich dort auf kaiserlichen Befehl in Steuerlisten einzutragen. Dort brachte Maria ein Kind zur Welt, dem sie auf Anweisung des Engels den Namen Jesus gab. Josef dürfte damals noch ein junger Mann gewesen sein: zwischen 16 und 18 Jahre alt. Eine Erklärung darüber, warum Josef stets als alter Mann abgebildet ist, gibt der Theologe Jörg Sieger: «Die Vorstellung, dass er … schon sehr alt gewesen sei, beruht auf einem Irrtum, der auf alte Weihnachtsdarstellungen zurückgeht. In den ersten Jahrhunderten hat man gerne die Mutter mit dem Kind und den Weisen, die ihre Geschenke bringen, abgebildet. Und an den Rand der Szene stellte man meist einen alten Mann mit einem Stock. Diesen hat man später als Josef identifiziert und daraus geschlossen, dass er bei der Geburt dann schon sehr alt gewesen sei. Josef war mit dieser Abbildung aber gar nicht gemeint! Die greise Gestalt auf diesen alten Weihnachtsdarstellungen war der Seher Bileam aus dem Alten Testament.

Seine Weissagung: “Es wird ein Stern aus Jakob aufgehen” (Numeri 24, 17) ging hier in Erfüllung, denn diese Prophezeiung sieht das Neue Testament in Jesus Christus erfüllt, und man hat ihn deshalb als deutende Person mit abgebildet». Ab dem 17. Jahrhundert ändert sich das Bild des Josef auch in der Kunst: jünger, vitaler, als Handwerker fest zupackend, mit Alltagsszenen der Heiligen Familie.
Treue
Josef blieb bei Maria, hielt zu ihr und das auch in schweren Zeiten, als Herodes das Kind töten wollte, um sich seine eigene Herrschaft zu sichern. Er floh mit Mutter und Kind nach Ägypten, von wo er erst nach Herodes’ Tod zurückkehrte. Im Gegensatz zu manchen Männern heute, lässt er die Frau nicht mit dem Kind sitzen. Er lebt uns die Treue zum einmal gegebenen Versprechen und zum geliebten Menschen vor – egal, was für Probleme und Nachteile dadurch entstehen könnten.
Josef sei ein wichtiges Vorbild für alle Vater, schreibt Papst Franziskus. Vater werde man nicht, «indem man ein Kind in die Welt setzt, sondern indem man sich verantwortungsvoll um es kümmert». Vater zu sein bedeute, ein Kind in die Wirklichkeit des Lebens einzuführen und zu begleiten. Dies geschieht laut Franziskus nicht, indem man den Sohn, die Tochter «festhält, gefangen hält, besitzt, sondern sie zu Entscheidungen, Freiheit und Aufbruch befähigt». Wenn Josef als «keusch» bezeichnet werde, dann auch deshalb, weil «keusche Liebe» den anderen nicht besitzen und festschreiben wolle. Zugleich sei Josef aber auch «Vater im Annehmen», weil er «Maria ohne irgendwelche Vorbedingungen annimmt», eine noch heute bedeutsame Geste, «in dieser Welt, in der die psychische, verbale und physische Gewalt gegenüber der Frau offenkundig ist», wie der Papst feststellt. Doch Marias Ehemann nimmt laut Franziskus im Vertrauen auf den Herrn in seinem Leben auch die Ereignisse an, die er nicht versteht: Josef über-nimmt «mutig und stark» eine tragende Rolle, welche der Stärke, die vom Heiligen Geist kommt, entspringt. Es sei so, als ob uns Gott durch die Gestalt des heiligen Josef wiederholt: «Fürchtet euch nicht!», denn der Glaube gibt jedem glücklichen oder traurigen Ereignis einen Sinn.
Die menschliche Arbeit
Mit Blick auf die handwerkliche Tätigkeit des heiligen Josef, lädt der Papst auch dazu ein, «den Wert, die Bedeutung und die Notwendigkeit der Arbeit wieder neu zu entdecken» und so «eine neue “Normalität” zu begrün-den, in der niemand ausgeschlossen ist». Die Corona-Pandemie hat in vielen Ländern zu einem Ansteigen der Arbeitslosigkeit geführt. Dies beraubt die Betroffenen der «Gelegenheit, die eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten weiterzuentwickeln und sie in den Dienst der Gesellschaft und der Gemeinschaft zu stellen». Deshalb ruft Franziskus alle auf, dafür zu sorgen, dass «kein junger Mensch, keine Person, keine Familie ohne Arbeit!» ist. Die Gestalt des heiligen Josef ist auch heute noch aktuell und vorbildlich wie nie, «in einer Welt die Väter braucht, Despoten aber ablehnt» – jene also, «die Autorität mit Autoritarismus verwechseln, Dienst mit Unterwürfigkeit, Auseinandersetzung mit Unterdrückung, Nächstenliebe mit übertriebener Fürsorge, Stärke mit Zerstörung».

Unauffällig
Einmal noch erscheint Josef, als der 12-jährige Jesus im Tempel von Jerusalem zurückbleibt. Dann wird nichts mehr von Jesu Pflegevater berichtet. Ob dies wirklich geschah, weil er kurze Zeit später gestorben sei, ist nicht wirklich erwiesen. Die Forschung vermutet, dass sein Todeszeitpunkt zwischen der gemeinsamen Wallfahrt und dem öffentlichen Auftreten von Jesus liegen könnte. Die Bibel bringt keinen lobenden Nachruf und weiss auch nicht zu berichten, dass Josef von den Anhängern Jesu besonders verehrt wurde. Die Verehrung dieses grossen Menschen setzt erst 800 Jahre nach seinem Tod ganz zögerlich ein. Zu Recht schreibt Ulrich Lüke: «Mir imponiert an dieser Gestalt, dass da jemand ohne medienwirksames Gegacker das Notwendige und das Gute tut, einfach nur, weil es getan werden muss. Ohne Aufhebens von sich zu machen, besteht er den Alltag und heiligt ihn, d.h. lässt ihn heil werden, soweit es in seinen Gott zur Verfügung gestellten Kräften steht. Wie peinlich nimmt sich dagegen die im Blitzlichtgewitter zur Heldentat hochstilisierte, streng öffentliche Überreichung eines kleinen Schecks aus.
Wir können lernen von diesem Menschen:
1. in der Beurteilung anderer nicht nur dem Augenschein zu vertrauen;
2. mit dem Einspruch und Zuspruch Gottes im eigenen Inneren zu rechnen;
3. treu zum einmal gegebenen Versprechen zu stehen, auch dann, wenn Nachteile zu erwarten sind und
4. das Gute in Stille auch dann zu tun, wenn wir deshalb für “deppert” gehalten werden. Josef ist von stiller, aber umso nachhaltigerer Grösse. Diese Art von Grösse fehlt unserer Zeit».
Paul Martone