Gedanken eines alten Missionars


Vor einigen Wochen wurde ich angefragt, «für die Pfarrblätter von Saint-Maurice im Oktober-Dossier ein paar Gedanken über die Mission» zu schreiben. Ich sagte zu… und begann Gedanken zu sammeln. Erinnerungen und konkrete Erfahrungen gingen mir durch den Kopf und das Gemüt. Ja, auch das Gemüt. Wenn ich ehrlich bin, muss ich zugestehen, dass bei «Gedanken über die Mission» sehr schnell mein Gemüt mitreden will. Es wägt ab und vergleicht: was ich in meinem langen und reichen Leben erfahren durfte und auch heute noch immer tun und sein möchte… Mitten in diesen Überlegungen publizierte am 5. Juli der «Walliser Bote» einen Artikel, der sich mit Glauben und Religion befasste, die, «gemäss Statistik, bei den Menschen immer mehr an Bedeutung verlieren». Und einige Tage später erschien in derselben Zeitung und dann auch auf kath.ch und swiss-cath.ch eine Antwort von Paul Martone mit dem Titel: «Das Feuer des Glaubens neu entfachen». Da meldete sich wieder mein Gemüt, angeheizt auch durch oft sehr fundamental formulierte Reaktionen in den Kirchlichen Medien, die sich, je nach dem, als «konservativ» oder «zeitgemäss» bezeichnen. Es wurde Zeit, das Gemüt auf stumm zu schalten und den Kopf zu aktivieren. Und dort – ohne zu suchen – finde ich ein kirchliches Dokument, das sowohl in meinem Kopf wie auch in meinem ganzen Leben als Missionar von grösster Bedeutung war: das Apostolische Schreiben Evangelii Nuntiandi (EN) von Papst Paul VI. vom 8. Dezember 1975. Sein Untertitel: «Die Evangelisierung in der Welt von heute».
Mit Zitaten aus diesem Dokument will ich versuchen, nicht nur «einige Gedanken über die Mission» zu formulieren, sondern ich möchte gerne auch «das Feuer des Glaubens neu entfachen»…
Evangelii Nuntiandi
Der Untertitel des Päpstlichen Schreibens «Die Evangelisierung in der Welt von heute» war das Thema einer Synode, die 1974 abgehalten wurde. Daher sagt Papst Paul VI. in der Einleitung: «Die
Synodalväter selber haben am Ende der denkwürdigen Versammlung beschlossen, dem Hirten der universalen Kirche die Frucht ihrer ganzen Arbeit zu übergeben, und erklärten dabei, dass sie vom Papst einen neuen Anstoss erwarten, der imstande ist, neue Zeiten der Evangelisierung heraufzuführen innerhalb einer Kirche, die verwurzelt ist in der unvergänglichen Kraft und Macht des Pfingstgeheimnisses». (EN Nr. 2)
Drei brennende Fragen habe diese Synode beständig vor Augen gehabt:
– Was ist in unseren Tagen aus dieser verborgenen Kraftquelle der Frohbotschaft geworden, die fähig ist, das Gewissen des Menschen tief aufzurütteln?
– Bis zu welchem Grad und wie ist diese Kraft des Evangeliums imstande, den Menschen unseres Jahrhunderts umzugestalten?
– Welchen Methoden muss man bei der Verkündigung des Evangeliums folgen, damit es seine Kraft entfalte?
«Diese drei Fragen, schreibt der Papst, erklären letztlich das grundlegende Problem, das sich die Kirche heute stellt und das man so formulieren könnte: Ist die Kirche – ja oder nein – nach dem Konzil und dank des Konzils, fähiger geworden, das Evangelium zu verkünden und es überzeugend, im Geiste der Freiheit und wirksam in das Herz des Menschen einzusenken?» (EN 4) denn, so betont er:
«Die Verkündigung des Evangeliums ist für die Kirche nicht ein Werk, das in ihrem Belieben stünde. Es ist ihre Pflicht, die ihr durch den Auftrag des Herrn Jesus Christus obliegt, damit die Menschen glauben und gerettet werden können. In der Tat, diese Botschaft ist notwendig.

Bischof Celso bleibt auch auf der Flucht an der Seite der Menschen. Sein Bischofssitz in Loikaw wurde mit Granaten beschossen. Foto missio.de
Sie ist einzigartig. Sie kann nicht ersetzt werden. Sie erlaubt weder Gleichgültigkeit noch Vermischung mit anderen Lehren oder falsche Anpassungen. Es geht hierbei nämlich um das Heil des Menschen.» (EN Nr. 5) UND:
«Die Kirche weiss um diese ihre Aufgabe. Sie weiss, dass das Wort des Heilands – “Ich muss die Frohbotschaft vom Reich Gottes verkünden” (Lukas 4,43) – voll und ganz auch von ihr gilt. Mit dem heiligen Paulus sagt sie: “Von der Verkündigung des Evangeliums bleibt mir kein Ruhm. Es ist meine Pflicht. Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht verkündigte!” (1 Kor.9,16). Weiter zitiert der Papst – und baut damit eine Brücke zu unserer Zeit: «Wir wollen erneut bekräftigen, dass die Aufgabe, allen Menschen die Frohbotschaft zu verkündigen, die wesentliche Sendung der Kirche ist, eine Aufgabe und Sendung, die die umfassenden und tiefgreifenden Veränderungen der augenblicklichen Gesellschaft nur noch dringender machen. Evangelisieren ist in der Tat die Gnade und eigentliche Berufung der Kirche, ihre tiefste Identität (EN Nr.14).

In Nr. 15 fährt er fort: «Die Kirche ist ihrem innersten Wesen nach zur Evangelisierung verpflichtet: Sie entsteht aus der Evangelisierung durch Jesus und die Zwölf. – Geboren folglich aus der Sendung, ist die Kirche ihrerseits durch Christus gesandt. Die Kirche bleibt in der Welt, da der Herr der Glorie zum Vater heimkehrt. Sie bleibt als ein Zeichen, das gleichzeitig dunkel und leuchtend ist für seinen Hingang und sein Verbleiben…
Denn in der Gemeinschaft der Christen hat das eigentliche Leben – Leben des Gebetes, Hören auf das Wort und die Unterweisung der Apostel, gelebte geschwisterliche Liebe, Austeilen des Brotes – nur seinen vollen Sinn, wenn es zum Zeugnis wird».
Zeugnis geben: Wie es beginnt, und was dazugehört:
«Die Kirche, Trägerin der Evangelisierung, beginnt damit, sich selbst nach dem Evangelium auszurichten. … als Gemeinschaft gelebter und gepredigter Hoff-nung, muss die Kirche unablässig selbst vernehmen, was sie glauben muss, welches die Gründe ihrer Hoffnung sind und was das neue Gebot der Liebe ist.
Als Volk Gottes, das mitten in dieser Welt lebt und oft durch deren Idole versucht wird, muss die Kirche immer wieder die Verkündigung der Grosstaten Gottes hören… mit einem Wort heisst das, dass es die Kirche immer nötig hat, selbst evangelisiert zu werden.» (EN 15) und weiter im selben Kapitel: «Das Zweite Vatikanische Konzil hat daran erinnert, und auch die Bischofssynode von 1974 hat dieses Thema von der Kirche, die sich durch eine beständige Bekehrung und Erneuerung selbst evangelisiert, um die Welt glaubwürdig zu evangelisieren, mit Nachdruck aufgegriffen.

– Die Kirche ist Hüterin der Frohbotschaft, die es zu verkündigen gilt.
– Selber gesandt und für das Evangelium gewonnen, entsendet die Kirche Glaubensboten. Und der Papst betont: (EN. 16)
Es besteht eine enge Verbindung zwischen Christus, der Kirche und der Evangelisierung. «…wo wir zu unserem Schmerz von manchen hören können, die nachdrücklich beteuern, Christus zu lie-ben, aber ohne die Kirche; auf Christus zu hören, aber nicht auf die Kirche; mit Christus zu sein, aber ausserhalb der Kirche. Wie absurd dieses Auseinanderreissen ist, wird deutlich aus dem Wort des Evangeliums: “Wer euch verwirft, verwirft mich.” Und wie will man Christus lieben, ohne die Kirche zu lieben, wenn das schönste Zeugnis, das man Christus ausstellen kann, jenes des heiligen Paulus ist: “Er hat die Kirche geliebt und sich selbst für sie dahingegeben.» (Eph 5,25)

Was besagt also «Evangelisieren»?
«Evangelisieren besagt für die Kirche, die Frohbotschaft in alle Bereiche der Menschheit zu tragen und sie durch deren Einfluss von innen her umzuwandeln und die Menschheit selbst zu erneuern: “Seht, ich mache alles neu!” Es gibt aber keine neue Menschheit, wenn es nicht zuerst neue Menschen gibt durch die Erneuerung aus der Taufe (Röm 6,4) und ein Leben nach dem Evangelium. Das Ziel der Evangelisierung ist also die innere Umwandlung. Wenn man es mit einem Wort ausdrücken müsste, so wäre es wohl am richtigsten zu sagen: die Kirche evangelisiert, wenn sie sich bemüht, durch die göttliche Kraft der Botschaft, die sie verkündet, zugleich das persönliche und kollektive Bewusstsein der Menschen, die Tätigkeit, in der sie sich engagieren, ihr konkretes Leben und jeweiliges Milieu umzuwandeln (EN 17) … und nicht nur «Verkündigung Christi an diejenigen, die ihn noch nicht kennen, als Predigt, als Katechese, als Spendung der Taufe und anderer Sakramente»… und immer wieder betont der Papst, besonders auch in EN 21, die absolute Wichtigkeit vom Zeugnis, persönlich und als Kirche.

Daher ist es mir wichtig mit einem Zitat von Papst Leo XIV meine «Gedanken» abzuschliessen. In einer Ansprache am 26. Juni sagte er angesichts des gegenwärtigen Terrors in der Welt:
«[…] Ich frage mich: Was können wir als Christen – neben unserer Empörung, dem Erheben unserer Stimme und unserem tatkräftigen Einsatz für den Frieden und den Dialog – wirklich tun? Ich glaube, das erste ist: beten. Wir müssen jede schreckliche Nachricht, jedes Bild, das uns erschüttert, in einen Schrei der Fürbitte zu Gott verwandeln. Dann: helfen. Aber es gibt noch mehr: das Zeugnis. Es ist der Ruf, Jesus treu zu bleiben, ohne uns in den Tentakeln der Macht zu verfangen.
Es heisst, Christus nachzuahmen, der das Böse am Kreuz durch Liebe besiegt hat – mit einer Herrschaft, die ganz anders ist als die von Herodes und Pilatus: Der eine liess aus Angst vor Macht-verlust Kinder ermorden – wie auch heute noch Kinder durch Bomben zerrissen werden; der andere [Pilatus] wusch sich die Hände – so wie auch wir heute Gefahr laufen, uns täglich die Hände zu waschen, bis wir an die Schwelle des Unumkehrbaren gelangen. Schauen wir auf Jesus, der uns aufruft, die Wunden der Geschichte einzig mit der Sanftmut seines glorreichen Kreuzes zu heilen – aus dem die Kraft der Vergebung, die Hoffnung auf einen Neuanfang und die Pflicht zur Ehrlichkeit und Transparenz in einem Meer aus Korruption hervorgehen. Folgen wir Christus, der die Herzen vom Hass befreit hat, und geben wir ein Bei-spiel dafür, wie man die Spiralen von Spaltung und Vergeltung durchbrechen kann.» Riunione delle Opere per l’Aiuto alle Chiese Orientali (Zusammenschluss der Hilfswerke für die Ostkirchen
P. Damian Weber, cmm
Die Fotos sind aus «missio.de» oder missio.ch
