Der christliche Politiker

Kann ein Christ heute noch erfolgreich politisieren?

An oberster Stelle: Mein Gewissen
Ohne der einen oder anderen Seite das Wort zu reden, möchte ich im Folgenden Überlegungen darüber anstellen, ob es eine christliche Politik überhaupt gibt. Dabei wollen wir als Grundsätze ein paar Dinge festhalten, die für einen Christen feststehen.
Fest steht, dass es überall Christen und Christinnen gibt, die sich politisch engagieren und zwar auch in solchen Parteien, die kein «C» in ihrem Namen tragen.
Fest steht auch, dass jeder Mensch sein Handeln letztlich vor seinem Gewissen verantworten muss. Er darf nicht «gezwungen werden, gegen sein Gewissen zu handeln. Er darf aber auch nicht daran gehindert werden, gemäss seinem Ge–wissen zu handeln, besonders im Bereich der Religion», so schreibt es der Katholische Katechismus (Nr. 1777 und Nr. 1782). 
Jeder, der sich politisch betätigt, ist wie jeder Christ zuerst und uneingeschränkt seinem Gewissen verpflichtet. Zugleich hat er sich aber auch an die Vorgaben des kirchlichen Lehramtes im Bereich des politischen Lebens zu halten. Dieses Lehramt hebt unmissverständlich hervor, “dass das gut gebildete christliche Gewissen niemandem gestattet, mit der eigenen Stimme die Umsetzung eines politischen Programms zu unterstützen, in dem die grundlegenden Inhalte des Glaubens und der Moral durch alternative oder diesen Inhalten widersprechende Vorschläge umgestossen werden”.» 


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«Nicht das Recht der Stärke soll anerkannt werden, sondern die Stärke des Rechts».
Klar ist auch, dass keine Partei die christliche Botschaft für ihre Zwecke missbrauchen darf. Zudem ist gerade im politischen Raum Vorsicht geboten, wenn diese Botschaft mit dem erhobenen moralischen Zeigefinger verbunden wird; sie darf aber auch nicht einfach nur eine schmückende Zierde sein. Nicht jeder Fortschritt ist gut, aber es muss auch nicht alles verteufelt werden.
Die Frage, was ein christlicher Politiker sei, hat Erzbischof Robert Zollitsch (2008–2014 Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz) einmal wie folgt beantwortet: «Es ist, das muss deutlich gesagt werden, nicht grundsätzlich schon der, der das Christliche im Namen führt. Und das ist bei allem Wert, den das Bestehen “christlicher” Parteien in Europa hat, die schon durch ihren Namen wie durch einen Stachel im Fleisch immer wieder an ihre ideellen Grund-lagen erinnert werden, unverändert. Es kommt zu–allererst auf die Inhalte an, auf die Glaubwürdigkeit und auf die konkreten Entscheidungen, die im politischen Alltag gefällt werden». 

De Würde des Menschen 
ist zu achten

In erster Linie geht es in der christlich verstandenen Politik um die Würde des Menschen, beide, der Mensch und seine Würde sind zu achten und zu schützen. Menschen–würde bedeutet aus christlicher Sicht, dass jeder Mensch einen unendlich grossen Wert hat, den er nicht durch seine eigenen Leistungen gewinnt, sondern weil er von Gott als sein Abbild erschaffen wurde. Das entzieht ihn auch einer oberflächlichen «Bewertung» durch andere Menschen.
Nach Meinung von Papst Franziskus sollte ein christlicher Politiker vor allem eines be–achten: mit Bescheidenheit und Mut, «ein Zeuge Christi» sein. Dies solle der Politiker dadurch erreichen, dass er «mit Kompetenz Gesetzes-vorschläge einbringt, die mit der christlichen Sicht des Menschen und der Gesell-schaft übereinstimmen». Der Papst lädt in seiner Enzyk-lika «Fratelli tutti» dazu ein, «die Politik neu zu bewerten, die eine sehr hohe Berufung [ist], […] eine der wertvollsten Formen der Nächsten-liebe, weil sie das Gemeinwohl anstrebt».

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Die grösste Sorge des Politikers 
«Die grösste Sorge eines Politikers sollte nicht sinkende Umfragewerte sein, sondern vielmehr, dass er keine wirksame Lösung findet, um das Phänomen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ausschliessung mit seinen traurigen Folgen wie Menschenhandel, Handel von menschlichen Organen und Geweben, sexuelle Ausbeutung von Knaben und Mädchen, Sklavenarbeit einschliesslich Prostitution, Drogen- und Waffenhandel, Terrorismus und internationale organisierte Kriminalität so schnell wie möglich zu überwinden. Diese Situationen und die Anzahl der unschuldigen Leben, die sie fordern, sind von solchem Ausmass, dass wir jede Versuchung meiden müssen, nur nichtssagende Deklarationen zu erlassen, die das Gewissen beruhigen sollen. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Institutionen wirklich effektiv sind im Kampf gegen all diese Plagen» (FT, Nr. 188).

Im Namen Gottes
Was macht einen christlichen Politiker aus? 
Zuerst einmal ist das Fundament wichtig, auf dem er/sie steht. Dieses besteht aus den aus der christlich-jüdischen Tradition abgeleiteten Werten, die ein Zusammenleben erst ermöglichen. Die Mehrheit der Bevölkerung in der Schweiz gehört der christlichen Religion an, aber auch die jüdischen und muslimischen Mitbürger und Mitbürgerinnen verehren Gott als den Allmächtigen. Deshalb bleibt es auch sinnvoll unsere Verfassung mit der Präambel: «Im Namen Gottes, des Allmächtigen» beginnen zu lassen. Ein christlicher Politiker und selbstverständlich auch eine christliche Politikerin sind in ihrer Politik in besonderer Wei-se dem christlichen Menschenbild verpflichtet und müssen den daraus abgeleiteten Werten unseres Zusammenlebens entsprechen. Christliche Politiker dürfen nach Ansicht von Papst Benedikt XVI. «das Christentum nicht an der Parlamentsgarderobe abgeben, sondern sollten sich davon in ihrer Politik leiten lassen». Das heisst, eine christliche Politik schliesst niemanden aus, sondern ist offen für die Anliegen und das Wohl eines jeden Menschen.

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Gott streichen?
Obwohl die Bevölkerung in der Schweiz gemäss Statistik im Jahr 2019 zu 62,6 % aus Christen bestand, gibt es eine Minderheit, die lautstark fordert, man solle Gott aus der Verfassung und das «C» aus dem Parteinamen streichen. Sicher ist es richtig, wenn man auch auf die Minderheiten Rücksicht nimmt, auf jene, die mit Gott und der Kirche nichts anfangen können, aber es ist nicht richtig, wenn die Minderheiten der Mehrheit ihre Vorstellungen aufzwingen wollen. Das ist keine Demokratie mehr! Müssen wir in der Öffentlichkeit, in der Politik, in Gesellschaft und Schule unseren Glauben verstecken, weil er nicht mehr passt in unsere moderne aufgeklärte Welt? Kann eine neue Politikergeneration, die mit der Zeit gehen will, dem realen Leben und den gesellschaftlichen Veränderungen nur dann entsprechen, wenn sie ihr christliches Erbe opfert, weil das Christliche für viele eine unüberwindbare Hemmschwelle ist? Das klingt auf den ersten Blick gut, vergisst aber, dass Entwicklung nicht automatisch immer Fortschritt ist, bei dem man alles gut finden muss. 

Wir müssen uns nicht verstecken
Als Christen müssen wir uns nicht verstecken und können zu unseren Werten stehen – für die Politik und die Gesellschaft. Ein christlicher Politiker soll deshalb nicht jedem Druck nachgeben und seine Grundüberzeugungen aufgeben, wenn es ihm Stimmen einbringt. Er soll auch kein Extremist sein, denn die christliche Lehre schenkt dem Menschen einen Massstab, der über den Strömungen der Zeit und ihrer Mode steht. Dies ist ihre Grösse und ihr Skandalpotential. Ich denke, dass es gerade uns Christen (und dies betrifft nicht nur die Politiker) gut anstehen würde, das Fundament, auf dem unsere Kultur steht, neu zu entdecken und wertzuschätzen und zwar nicht bloss als Relikt aus der Vergangenheit, sondern als tragfähige Antwort für die Zukunft unseres Landes. Denn der Glaube hat Zukunft. Dieser Glaube soll dazu beitragen, eine Kultur des gegenseitigen Respekts zu schaffen, eine Zivilisation, in der Unterschiede nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung wahrgenommen werden. Das ist christliche Politik, die man auch im Namen seiner Partei zeigen darf!                         Paul Martone