Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne

Gedanken zum Neuen Jahr

Mit dem Monat Januar beginnt das neue Jahr. Wir wissen heute noch nicht, was es bringen wird, sicher jedoch Gutes und Schlechtes, Ereignisse, die uns aufstellen, aber leider wohl auch solche, die uns niederdrücken. Was auch kommen mag: versuchen wir hinter allem einen Sinn zu finden und in unserem Alltag Gottes Spuren zu entdecken.

Foto: © Rosa Previti

«Stufen»
Der Titel dieses Artikels entspringt dem Ge­­dicht «Stufen» von Hermann Hesse (1877–1962). Es ist eines der bekann­testen Gedichte des Lyrikers und es ist sogar in unsere Alltagssprache eingegangen. 
Hesse, der dieses Werk nach langer Krank­­heit dichtete, beschreibt darin, dass unser Leben nicht ewig dauert. Daher müs­sen wir stets bereit sein Ab­­schied zu nehmen und einen Neuanfang zu wagen und uns in Tapferkeit und ohne Trauer in neue Bindungen zu ge­­ben. Es ist ein Gedicht, das von Auf­­bruch und Lebenshunger, von Identitäts­entwicklung aber auch von Trauer und Abschied handelt. Zweifellos ist es ein forderndes und mutiges Gedicht, denn es lädt uns ein, nicht an der Stelle zu treten, sondern bereit zu sein, neue Wege zu suchen und sie dann auch zu gehen. Es ist gewiss ein Risiko, aber auch eine Chance, Neues zu wagen und aufzubrechen in eine gute Zukunft. Die­­ses ständige Aufbrechen, bewahrt uns, gemäss Hesse, vor «Erschlaffen», das eintritt, wo wir heimisch geworden sind und «traulich eingewohnt».
Sicher ist es nicht einfach, ausgetretene Wege zu verlassen, alte, manchmal auch lähmende Gewohnheiten abzulegen und sich auf Neues und Unbekanntes einzulassen und es auszuprobieren und da­­durch zu entdecken, dass es auch an­­ders gehen kann – denn anders ist nicht immer auch falsch! Dafür müssen wir aber oft aus unserer Komfortzone raus, also aus alldem, was wir gewohnt sind. Es kann aber eine Chance sein, um Neues in der Welt und auch in sich selber zu entdecken. Das Leben anders zu leben, kann auch eine Chance für Gott sein, uns seinen Willen auf neue Weise zu zeigen und die Stufen zu ihm, zu unseren Mitmenschen und auch zu uns selber mit neuem Schwung in Angriff zu nehmen. «Wohlan denn, Herz, nimm Ab­­schied und gesunde!», schreibt Hesse.

Foto © by_S. Hofschlaeger_pixelio.de

Nichts soll dich ängstigen 
In jedem Neubeginn liegt ein Zauber, «der uns beschützt und der uns hilft, zu le­­ben». Für die Christen ist dieser Zauber nicht etwas Abstraktes, sondern hat Viel­mehr einen Namen: Es ist das Wort, das bei Gott war und in Jesus Christus Fleisch ge­­worden ist. Gott wurde Mensch, um sich vorbehaltlos auf die Seite der Men­schen zu stellen. Mit ihm dürfen wir das Neue Jahr 2023 in Angriff nehmen. Wir sollen ohne Angst und Furcht auf das schauen, was uns das Jahr bringen wird und heiter Raum um Raum durchschreiten», weil wir wissen, dass Gott
in jedem Raum unseres Lebens bei uns ist. Mir gefällt, was die heilige Teresa von Avila (1515 –1582) ge­­schrieben hat: «Nichts soll dich ängstigen, nichts dich erschrecken. Alles geht vorüber. Gott allein bleibt derselbe. Alles erreicht der/die Geduldige, und wer Gott hat, hat alles. Gott allein genügt». Das will uns nicht zu Einsiedlern machen, die meinen, sie müssen keinen Kontakt mehr haben zu ihrer Umwelt, ihren Familienan­gehörigen und Freunden, weil ja Gott allein genüge. Es bleibt die Wahrheit der Schöp­fungs­geschichte auch heute noch, nach der es nicht gut ist, dass der Mensch allein ist. Es will uns aber zeigen, dass dort, wo wir mit unserem Leben und un­­seren zwischenmenschlichen Beziehun­gen an eine Gren­­ze stossen, Gott uns dennoch zugewandt bleibt. Sicher bleibt genug Grund zur Sorge und Angst, doch wie schrieb schon der Apostel Paulus? «Sorgt euch um nichts, sondern bringt in jeder Lage betend und flehend eure Bit­ten mit Dank vor Gott.» Seine Gegenwart vertreibt alle Furcht, sie schenkt Zuver­sicht und macht unsere Herzen bereit, offen und aufmerksam füreinander.

Foto © Gregor Gander-Thür

Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe, blüht jede Weisheit auch und jede Tugend zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.

Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe bereit zum Abschied sein und Neubeginne, um sich in Tapferkeit und ohne Trauern in andre, neue Bindungen zu geben. Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten, an keinem wie an einer Heimat hängen, der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen, er will uns Stuf‘ um Stufe heben, weiten.

Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen, nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde uns neuen Räumen jung entgegen senden, des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

Geduld mit Gott

Foto Poss

Ich behaupte nicht, dass dies einfach ist. Fragen bleiben und sie werden uns auch durch alle Monate des neuen Jahres begleiten. Fragen und Angst zu haben, ist keine Sünde. Es «ist unvernünftig keine Angst haben zu wollen oder sie gar zu verdrängen dort, wo Angst uns Menschen im Blick auf unsere Welt wirklich geboten ist» (Johannes Paul II.), aber es braucht manchmal etwas Ge­­duld, es braucht Verständnis füreinander und Mut, um nicht zu resignieren. Es braucht oft auch Geduld, bis Gott uns zeigt, was er mit uns vor hat, und es braucht die Offenheit, dass der Heilige Geist ganz unterschiedliche Wege kennt und findet, in dieser Welt von heute zu wirken. «Hab Vertrauen in das langsame Arbeiten Gottes. Ganz natürlich drängen wir in allen Dingen ungeduldig dem Ziele zu. Wir möchten die Zwischenstufen über­­springen. Wir leiden voller Ungeduld dar­­unter, zu etwas Unbekanntem, Neuem un­­­terwegs zu sein. Dabei ist es das Ge­­­setz jedes Fortschreitens, dass sein Weg über das Unbeständige führt – das eine sehr lange Zeit andauern kann. … Schen­ke unserem Herrn Vertrauen, und denke, dass seine Hand dich gut durch die Fins­­ternisse und das Werden führen wird – und nimm aus Liebe zu ihm die Angst auf dich, dich im Ungewissen und gleichsam unfertig zu fühlen.» Dies schrieb der Jesuit und Naturwis­sen­schaftler Pater Pierre Teilhard de Char­din (1881–1955), ein grosser Vordenker, der die Evolu­tionstheorie und die christliche Heils­ge­schichte miteinander verbinden wollte. 

Foto Christus in der Kirche von Lérins

«Christus gibt alles!»
Ja, jedem Anfang wohnt ein Zauber in­­ne, aber auch die Ungewissheit, wohin die Wege des neuen Jahres uns führen. Haben wir keine Angst, auch dieses Jahr der Führung Gottes anzuvertrauen mit all seinen Überraschungen, Freuden und Krisen, die es bringen wird, denn «Chris­tus nimmt nichts, und er gibt alles. Wer sich ihm gibt, der erhält alles hundertfach zurück! Wer Christus einlässt, dem geht nichts, nichts – gar nichts verloren von dem, was das Leben frei, schön und gross macht. Nein, erst in dieser Freund­schaft öffnen sich die Türen des Lebens. Erst in dieser Freund­schaft ge­­hen überhaupt die grossen Mög­­lich­keiten des Mensch­seins auf. Erst in dieser Freund­schaft erfahren wir, was schön und was befreiend ist» (Papst Benedikt XVI.). Und ich möchte hinzufügen: erst in dieser Freund­schaft wird auch im neuen Jahr ein Zauber inneliegen!


Paul Martone

Foto © Sr Catherine

Schreibe einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Ihr Kommentar wird nach unserer Freigabe angezeigt. Pflichtfelder sind mit * gekennzeichnet