Klimagerechtigkeit – jetzt!

Für welche Welt wollen wir verantwortlich sein?

sehen-und-handeln.ch

Obwohl die gesamte Menschheit davon bedroht ist, betrifft der Klimawandel und dessen Auswirkungen gewisse Bevöl­ke­rungs­gruppen mehr als andere. Gemein­schaften in armen Ländern sind am verletzlichsten und tragen die Hauptlast. Ihre Lebensgrundlagen sind durch klimabedingte Naturkatastrophen gefährdet, de­­ren Ursache vor allem in der Über­nut­zung und Verschwendung von Ressour­cen durch und für die Reichen und Kon­sum­­orientierten liegt. Der Umgang mit den jüngsten Naturkatastrophen hat die­se Ungerechtigkeit nur noch deutlicher ge­­macht: Die Monsunregen in Südost­asien und die Dürre in Afrika fordern je­­des Jahr mehr Opfer, während die reichen Länder – wenn auch nicht von Na­­turkatastrophen verschont – immer besser gerüstet sind, um diese zu bewältigen.
Dieses Ungleichgewicht zeigt sich nicht nur bei den allgemeinen Auswirkungen des Klimawandels auf den Lebens­stan­dard der Bevölkerung, sondern auch beim Bewusstsein für diese Situation. Die­­ses ist in armen wie reichen Ländern zwar hoch, jedoch haben in armen Län­dern nur die wenigsten die Wahl oder die Mit­­tel, etwas zu ändern.
Der Klimawandel gehört zu den grössten Herausforderungen, mit denen die Welt heute konfrontiert ist, und ist unbestreitbar auf menschliches Handeln zurückzuführen. Wir alle sind dafür verantwortlich, da wir auf irgendeine Weise, in un­­terschiedlichem Ausmass dazu beigetragen haben – einige mehr, andere we­­niger, und darin liegt die Ungerech­tig­keit.

Die Klimakrise ist akut. Am stärksten betroffen sind Men­­schen im globalen Süden, die am wenigsten zum Klimawandel beitragen. Das ist ungerecht.

Hauptsorge gilt dem puren Überleben
In reichen Ländern hingegen ist die Be­­reitschaft, aufrichtig und mit Bedacht zu handeln, gering, trotz vielen Men­schen, die sich der Klimadringlichkeit bewusst sind. Es ist lobenswert, dass viele Ein­zel­­personen, Verbände und Unterne­h­men mit einem immer stärkeren Um­­welt­­be­wusst­sein handeln und ihre Gewohn­hei­ten ändern. Ihre Aktionen sind jedoch nur ein Tropfen auf den heissen Stein, wenn die Entscheidungsträger/innen, vor allem die Regierungschef/innen der gros­­sen Weltmächte, sich weiterhin hinter scheinheiligen Reden verstecken. Sie geben zwar vor, sehr besorgt über das Klima­problem zu sein, sind aber vielmehr von den wirtschaftlichen Auswirkungen ihrer Entscheidungen motiviert als da­­von, was mit der Schöpfung und den künf­tigen Ge­­nerationen geschehen wird. 
Genau hier ist die Kirche aufgerufen, zu handeln, sich zu äussern und in die Bre­sche zu springen, um nicht zur Komplizin dieser Heuchelei zu werden. Es geht dar­­­um, für Gerechtigkeit einzustehen, einschliesslich der Klimagerechtigkeit. Letz­­tere ist tief in einem biblischen Im­­perativ verankert.

Klimagerechtigkeit verlangt, dass alle Men­­schen – auch die heranwachsenden und zukünftigen Generationen – ein Leben in Würde führen können. Folglich müssen wir Verantwortung übernehmen und unser Konsumverhalten sowie unseren Lebensstil schöpfungsverträglich ge­­stalten. Die christliche Spiritualität schlägt eine Vision vor, welche die Lie­­­be Gottes als Verbindung zu allem Le­­bendigen betrachtet. Der Mensch wird dazu aufgerufen, jede Handlung mit dieser Haltung zu verbinden. Fastenaktion, Partner sein und HEKS weisen darauf hin, dass die Klimaerhitzung und die da­­mit verbundene Umweltzerstörung mit dem Armutsproblem untrennbar ver­­knüpft sind. Verantwortung übernehmen heisst, diese Verbindung ernst zu nehmen, solidarisch zu handeln und den eigenen ökologischen Fussabdruck zu reduzieren.

Der neueste Bericht des Weltklimarats macht deutlich: «In Armut lebende Menschen sind nicht in der Lage, sich ausreichend an die Klimaerhitzung anzupassen».

Als Gott dem Menschen die Pflege und Bewahrung der Schöpfung anvertraute (Gen 2,15), zielte er auf eine Symbiose und Harmonie für die gesamte Schöp­fung ab, damit sie das Leben so leben konnte, wie es sein sollte. Leider hat der Mensch in dieser Hinsicht versagt, und die ge­­samte Schöpfung leidet darunter, sie seufzt (Röm 8, 22): Die Umwelt verschlechtert sich zusehends, und viele Menschen auf der Welt verlieren ihre Wür­de und ihr Recht, sogar das Grund­legendste: das Recht auf ­Nahrung. Aber das ist kein unabwendbares Schicksal, es ist nicht alles verloren, es gibt noch etwas zu tun. Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1–16) erinnert uns daran. Es zeigt uns, dass es trotz allem nie zu spät ist, etwas zu tun: Der Beitrag eines jeden Arbeiters zählt in den Augen des Grundbesitzers, egal zu welcher Stunde er seinen Dienst antritt. Und für jeden Beitrag erhält jeder das, was er braucht, um im Alltag seinen Le­­bensunterhalt zu bestreiten, um in Wür­de zu leben – und nicht zu überleben. Dieses Gleichnis stellt die oftmals kommerzielle und kapitalistische Logik der menschlichen Gerechtigkeit auf den Kopf. Es ist zudem eine Aufforderung, un­seren Le­­bens­stil, unser Konsum­ver­halten und unser Wirtschaftsmodell zu hinterfragen, die in den letzten Jahr­zehnten von der Globalisierung geprägt wurden. Letztere ist nicht gänzlich zu verurteilen, denn bis zu einem gewissen Grad hat sie auch Vorteile gebracht, insbesondere in Be­­zug auf Technologie und Kommunikation.
Allerdings zeigt die Globalisierung auch katastrophale Auswirkungen auf die Um­­welt und die soziale Gerechtigkeit: Sie hat die Umweltzerstörung verstärkt und die Kluft zwischen Arm und Reich immer weiter vergrössert. Der aktuelle globale Kontext, der von der verschärften Hun­gerkrise, dem Krieg in der Ukraine und der Covid-19-Pandemie geprägt ist, hat diese Kluft noch stärker hervorgehoben.
Dies erinnert uns aber auch daran, dass wir trotz unseren Mitteln, unserem Wis­sen und unserer Stärke nicht alles be­­herrschen und dass wir Fortschritte nur ge­­meinsam erreichen können. Im Lichte der Logik des Grundbesitzers (im Gleich­nis der Arbeiter im Weinberg) ist es für uns an der Zeit, über eine inklusivere, nach­haltigere und menschlichere Lebens­wei­se nachzudenken; nicht im Geiste des Wettbewerbs für maximales Wachstum und Profit, um diejenigen zu disqualifizieren, die nicht mit der gleichen Geschwin­digkeit wie wir voranschreiten, sondern im Sinne von Gerechtigkeit, damit am En­­de des Tages alle ein würdiges Leben führen können.

Mädchen aus Mali, wo der Klimawandel hautnah spürbar ist.

Agrarökologie für ein würdiges Leben
Da die Verantwortung für den Klimawan­­del zwar geteilt, aber unterschiedlich ist, sollte auch die Verantwortung für die Su­­che nach einem nachhaltigeren Lebens­stil geteilt werden. Dies lässt sich gut mit Agrarökologie erreichen, die überall praktiziert werden kann. Sie ermöglicht es, lokal, vernünftig und menschlich zu handeln, und verringert gleichzeitig die globalen Umweltauswirkungen der industriellen Landwirtschaft. Die Praxis der Agrar­ökologie fördert die Wechselwir­kungen zwi­schen den Pflanzen, bewahrt die Bo­­denfruchtbarkeit und vermeidet den Ein­satz synthetischer Dünge- und Pflanzen­schutzmittel, was der biologischen Viel­falt neuen Auftrieb verleiht. Dies kann als eine Rückkehr zu den Wurzeln betrachtet werden, zu den primären Aufgaben des Menschen: die Schöpfung zu pflegen und zu bewahren.
Die positiven Auswirkungen des agrar­öko­logischen Systems sind vielseitig: In­­dem es langfristig Einkommen und die Nah­rungsversorgung der Menschen si­­chert, ermöglicht es ihnen ein würdiges Leben in Harmonie mit ihrem Umfeld und ihrer Kultur, während sie gleichzeitig in eine ruhigere Zukunft blicken und Ver­trauen in die kommenden Generationen haben können.
Die Zeit drängt, jede Sekunde der Zu­­rück­­haltung in Bezug auf Klimagerech­tig­keit wird verheerende Auswirkungen ha­­ben auf unsere Umwelt und auf das Le­­ben und die Würde vieler Menschen auf der Welt, insbesondere der Ärmsten. An­­gesichts dieser Dringlichkeit braucht die Welt von heute einen Paradigmen­wech­sel. Die Kirchen sowie die Christin­nen und Christen sind aufgefordert, ihre Worte und Taten zu verbinden, im Hier und Jetzt des Reiches Gottes und seiner Liebe zu den Menschen und der Schöp­fung

Brigitte Rabarijaona

Die reformierte Theologin und Pfarrerin aus Madagaskar lebt und arbeitet zurzeit in Nairobi. Sie ist die Koordinatorin von Tsena Malalaka (Netzwerk für afrikanische und europäische Theologinnen).

«Trotz unseren Mitteln, unserem Wis­sen und unserer Stärke können wir nicht alles beherrschen –
Fort­schritte können wir nur gemeinsam erreichen.»

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