Reformer der Kirche

Die Kirche ist immer neu zu reformieren («Ecclesia semper reformanda») heisst ein altes Motto. 
In der Geschichte der Kirche hat es immer wieder Menschen gegeben, die sich diese Reform der Kirche zur Aufgabe gemacht haben. Drei dieser Gestalten wollen wir uns im Folgenden anschauen.

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Papst Paul VI. (1897–1978)

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Dieser Papst, getauft auf den Namen Giovanni Battista Enrico Antonio Maria Montini, war ein Mensch, der es eigentlich niemandem recht machen konnte: den Konservativen war er zu progressiv und den Progressiven zu konservativ. Vielfach wird er reduziert auf seine Enzyklika «Humanae vitae», in der er 1968 die Beachtung des natürlichen Sittengesetzes forderte, nach dem «jeder eheliche Akt von sich aus auf die Erzeugung menschlichen Lebens hingeordnet bleiben» müsse. Damit erteilte er all jenen Kreisen eine Absage, die die Möglichkeit einer Empfängnisverhütung durch die Pille und andere chemische Mittel forderten. Diesen Entscheid fällte der Papst nach langem persönlichem Ringen, obwohl eine vorberatende Kommission sich mehrheitlich für eine Öffnung der Kirche in den Fragen um künstliche Empfängnisverhütung aussprach. Eine Minderheit unter der Führung des Erzbischofs von Krakau, Karol Wojtyla, dem späteren Papst Johannes Paul II. unterstützte in einem Gutachten die bisherige (konservative) Position, für die sich Paul VI. in seiner Enzyklika schliesslich aussprach. Nach der Veröffentlichung dieses päpstlichen Schreibens, das wie eine Bombe in der Weltöffentlichkeit einschlug, entlud sich ein gewaltiger «Shitstorm», eine geballte Ladung an Kritik, über den Papst, der als «Pillen-Paul» lächerlich gemacht wurde, obwohl die «Pille» in seinem Schreiben an keiner Stelle erwähnt wird. Auch von anderen Verhütungsmitteln ist in dem Text nirgends wörtlich die Rede. Der Papst litt sehr unter dieser ungerechten Kritik und betonte immer wieder, dass er es vor seinem Gewissen nicht hatte verantworten können, die Lehre der Kirche in diesem Punkt zu ändern und die Enzyklika erst nach langem innerem Ringen und bedrängt von gegensätzlichen Beratern unterschrieben habe.
Man tut Papst Paul VI., der von vielen als von Zweifeln geplagter Träumer gehalten und in die Ecke eines «Bremsers des Fortschrittes» geschoben wurde, grosses Unrecht!

Das 2. Vatikanische Konzil
Man vergisst, dass Paul VI. der eigentliche Konzilspapst ist. Papst Johannes XXIII. hat dieses zwar auf den Weg gebracht und auch eröffnet, mit dem Ziel der Erneuerung der Kirche, der Einigung der Christen und der Öffnung zur Welt und zur ganzen Menschheit. Der Papst, der bereits bei der Eröffnung des Konzils 1963 schwer krank war, starb bereits kurz nachher. 
Nach Montinis Wahl zum Papst bezeichnete er es als seine Hauptaufgabe, das von seinem Vorgänger begonnene Konzil fortzusetzen und zu Ende zu führen. Mehr als sein Vorgänger griff Paul VI. in das Konzils-geschehen ein und entzog verschiedene heikle Fragen der Diskussion der Konzilsväter und reservierte die Entscheidung sich als dem Oberhaupt der Kirche. Das brachte ihm Kritik der Progressiven ein, für die die Konzilsdokumente hinter den Erwartungen zurückblieben, aber auch von Seiten des konservativen Flügels, die dem Papst umstürzlerische Ideen zum Schaden der bewährten innerkirchlichen Strukturen vorwarfen. Sofort nach Abschluss des Konzils im Jahr 1965 machte sich der Papst an die Durchführung der Konzilsbeschlüsse und an die Reform kirch-licher Einrichtungen, angefangen bei der römischen Kurie. Historisch zu nennen ist die Begegnung zwischen Paul VI. und Patriarch Athenagoras 1964 in Jerusalem. Aufsehen erregte sein Entscheid, nach dem Bischöfe mit Vollendung des 75. Lebensjahres ihren Rücktritt einreichen müssen. Paul VI. war nicht ein nur in der Tradition verankerter Kirchenführer, vielmehr war er auch spürbar aufgeschlossen für die Zeichen der modernen Zeit, was sich in seinen zahlreichen Lehräusserungen niederschlug. Dies zeigt auch seine Sozialenzyklika «Populorum progressio» (1967), in der er energisch für eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung eintrat. Seine Regierungszeit fiel in eine Zeit ausserordentlicher Ereignisse, starker Gegensätze und eines totalen gesellschaftlichen Um–bruchs. Es war die Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, in der plötzlich alles in Frage gestellt wurde. Auf der einen Seite sollte er die grossen Werte der Tradition verteidigen, anderseits für die notwendige Öffnung der Kirche zur Welt eintreten. Dazu dienten auch seine zahlreichen Reisen, unter anderem 1969 auch nach Genf.
«Paul VI. hat, manchmal unter Mühen und von Unverständnis umgeben, ein leidenschaftliches Zeugnis von der Schönheit und Freude einer totalen Nachfolge Jesu abgelegt. Noch heute mahnt er uns, zusammen mit dem Konzil, dessen weiser Steuermann er war, unsere gemeinsame Berufung zu leben: die universale Berufung zur Heiligkeit. Nicht zum Mittelmass, sondern zur Heiligkeit.» (Papst Franziskus anlässlich der Heiligsprechung von Paul VI. am 14.  Oktober 2018)

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Kardinal Charles Journet (1891–1975)
Journet ist in Genf geboren und wurde 1917 zum Priester geweiht. Nach Seelsorgejahren in den Pfarreien des Bistums wurde er 1924 Professor für Dogmatik am Priesterseminar in Fribourg. Er erwarb sich einen Ruf als Theologe von Weltrang, sodass ihn Papst Johannes XXIII. zum Konzilstheologe ernannte. 1965 machte ihn Papst Paul VI. zum Bischof und Kardinal, eine Ehre, die er «trotz Hemmung und Widerstreben über sich hat ergehen lassen müssen».

«Charles Journet war ein tiefgründiger Prediger, der regelmässig in Genf die Kanzel bestieg, ein Denker, nicht abgekapselt, sondern den Problemen der Welt sehr offen», schrieben die «Neuen Zürcher Nachrichten» anlässlich seines Todes. Wer Kardinal Journet nur vom Sehen gekannt hat, konnte leicht den Eindruck bekommen, er schwebe in den Wolken, doch stand er in Wirklichkeit mit beiden Füssen auf dem Boden. Er war «derjenige katholische Theologe –  vermutlich nicht nur in der Schweiz – der den nationalsozialistischen Staat und seine Unmenschlichkeit am zielstrebigsten von den Prinzipien her bekämpft hatte», schrieb Victor Conzemius. In Journets dreibändigem Hauptwerk mit dem Titel «L’Eglise du Verbe Incarné», hat sich der Theologe und Denker im Geist des hl. Thomas der Welt und ihren Problemen geöffnet. Der damalige Bundespräsident Hans-Peter Tschudi hat am 26. Februar 1965 als Kardinal Journet nach seiner Rückkehr aus Rom vom Bundesrat empfangen wurde, diesen feinsinnig charakterisiert: Ein Priester, Denker und Theologe mit aussergewöhnlicher moralischer Autorität, den die philosophischen Betrachtungen keineswegs abgehalten haben, sich mit den Zeitproblemen und dem Gegenwartsgeschehen zu befassen. In den dunkelsten Stunden der Menschheit habe er die Kraft gefunden für Wahrheit und Gerechtigkeit Zeugnis zu geben. Journet war mit seinen Ideen ein Vorläufer des Zweiten Vatikanischen Konzils. Viele Probleme, die er in seinen Werken behandelt hat, sind von diesem Konzil aufgegriffen und weiterentwickelt worden. Von seinem Hauptwerk hat man mit Recht gesagt, dass er darin «die Erneuerung, von der die Konzilskonstitution über die Kirche zeugt, vorbereitet» habe. Gleiches gilt für die Haltung der Christen gegenüber den Juden. Auch damit hatte sich das Konzil zu befassen. In anderen Werken griff Journet das Problem der Beziehungen der Kirche mit der modernen Welt und die Frage der Religionsfreiheit auf. Auf ihn treffe, so der Artikelschreiber in den «Freiburger Nachrichten», das Wort des Dichters Terenz zu: «Ich bin ein Mensch, und nichts Menschliches ist mir fremd». Wenn Journet so «menschlich» war, so deshalb, weil er vor allem ein Mann Gottes war!

Kardinal Charles Journet mit Bischof Mamie (Foto © DR)

Bischof Nestor Adam (1903–1990)
Im Gegensatz zu Kardinal Journet kann Bischof Nestor Adam nicht unbedingt als grosser Freund des Zweiten Vatikanischen Konzils betrachtet werden. Der Vorsteher der Chorherren vom Grossen St. Bernhard wurde 1952 zum Bischof von Sitten ernannt. Er war nicht begeistert von der Aussicht, mehrere Wochen von seinem Bistum abwesend zu sein, um in Rom an «langweiligen» Diskussionen teilzunehmen. Seine Wünsche ans Konzil waren: «Erarbeitung eines neuen der Zeit angepassten Weltkatechismus, Beteiligung der Klerus und der Gläubigen an der Wahl der Bischöfe ohne staatliche Einmischung, Dezentralisierung der kirchlichen Verwaltung, stärkere Beteiligung von Laien in der kirchlichen Vermögensverwaltung, Integrierung der modernen Medien in Verkündigung und Katechese, Reform der Ausbildung des Klerus und schliesslich Vereinfachung des Laisierungsverfahrens, damit die Betroffenen, deren Zahl im Ansteigen sei, leichter ins normale Leben zurückfinden können, und die Abschaffung aller leeren Ehrentitel.» 

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An den Sitzungen des Konzils hat sich Nestor Adam nach Meinung von Michel Salamolard «bekehrt». «Er konnte sich sehr gut für das Konzil in Szene setzen und zwar deshalb, weil dieses “Szenario”, das von 1962 bis 1965 in Rom geschrieben wurde, begann ihn zu verletzen und durcheinanderzubringen. Bevor es sich in der Schweiz ausbreiten konnte, musste sich der Geist des Konzils zuerst einen Weg in das Herz des Bischofs von Sitten bahnen und das nicht ohne Mühen! Das Ergebnis war umso bemerkenswerter, da es nicht im Voraus garantiert werden konnte. Ein grosser Schock war für den Bischof der Ent-schluss des Konzils, dass inskünftig die Messe auch in der Volkssprache gefeiert werden könne. «Das, was am Heiligsten ist, wirft man nun dem Pöbel vor die Füsse», entrüstete er sich. «So würden diese Worte banalisiert und profaniert. Nach seiner “Bekehrung” aber feierte Bischof Adam die Messe sowohl in deutscher als auch in französischer Sprache mit Leichtigkeit und ganzer Über-zeu-gung.» Nach Abschluss des Konzils rief er 1966 dazu auf, die Dokumente zu lesen, denn sie werden künftig «die Grundlage der ganzen Lehrtätigkeit und jeder Entscheidung im Schosse der Kirche» sein. Der Bischof zitierte auch Papst Paul VI., der gesagt hat: «Diese Verkündigung ändert wahrhaftig in nichts die katholische Lehre… Was war, das bleibt.» Doch die «Treue zum geoffenbarten Glaubensgut steht vollkommen in Einklang mit einem dogmatischen Fort-schritt, der dadurch erreicht wird, dass die Wahrheit tiefer und genauer dargelegt wird». Wie auch die anderen Schweizer Bischöfe berief er die Synode 72 ein und setzte deren Entschlüsse in seinem Bistum ein. 


Paul Martone

Er war immer nahe beim Volk. (Foto © Archiv Bistum Sitten)

Das Zweite Vatikanische Konzil / Foto © DR)

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