Schweigen? Unmöglich!

Haben Sie das auch schon erlebt: Sie können einfach nicht mehr schweigen – es muss hinaus? Beispielsweise in einer Situation schreiender Ungerechtigkeit. Oder aus purer Freude, weil Sie etwas überwältigend Schönes erlebt haben. Ich frage mich: Gibt es diesen Mitteilungsdrang auch in unserem Glauben? «Schweigen? Unmöglich!», würden Petrus und Johannes antworten. Die Begegnung mit dem Auferstandenen und die Heilung am Tempeltor «zwingen» Petrus und Johannes zum Reden. Daran ändern auch Drohungen nichts. «Wir können unmöglich schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben» (Apg 4, 20), entgegnen sie dem Hohen Rat. Doch öffentliches Sprechen kann heikel sein. Die vietnamesische Kirche lebt unter einer atheistischen Regierung. Es gibt zwar offiziell Religionsfreiheit, doch sie ist durch das «Büro für religiöse Angelegenheiten» streng geregelt. Die Kirche muss vorsichtig sein, denn eine Handlung kann schnell als «Bedrohung der nationalen Sicherheit» ausgelegt werden. Und wie steht es mit uns? Spüren wir eine Glaubensfreude, die sich mitteilen will? Nach einem gelungenen Gespräch, bei einer eindrücklichen Feier, weil wir gerade einen Moment der Nähe Gottes spüren oder ganz einfach, weil uns der Glaube einen soliden Boden schenkt und wir die Herausforderungen des Lebens gelassen angehen können: Ist da Schweigen möglich? 

Diakon Martin Brunner-Artho, missio Schweiz

DIE KATHOLISCHE KIRCHE IN VIETNAM

Die Anfänge der katholischen Kirche in Vietnam reichen bis in die erste Hälfte des
16. Jahrhunderts zurück. Die Missionare aus Europa waren zunächst in den Regionen von Tonkin und Cochinchina aktiv. Ihr Einfluss auf die Geschichte des Landes war gross. Sie führten das lateinische Alphabet für die vietnamesische Sprache ein, das noch heute in Gebrauch ist.

Der Kaiser und die Missionare
Von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war das Gebiet politisch geteilt. Mit ausländischer Hilfe kam Nguyen Phúc Ánh an die Macht und nannte das Land Vietnam. Als Kaiser Gia Long (1802–1820) tolerierte er den Katholizismus. Bei seinem Tod 1820 gab es bereits sechs Bischöfe in Vietnam. Spanische und französische Missionare waren sowohl in Tonkin als auch im Zentrum und im Süden des Landes tätig. Unter seinem Nachfolger Minh Mang, einem überzeugten Anhänger des Konfuzianismus, kam es zur Unterdrückung der Christen.

Die Kirche im kommunistischen Vietnam
Nach der Entkolonialisierung und der vorübergehenden Teilung Vietnams Mitte der 1950er Jahre flohen viele KatholikInnen aus dem kommunistischen Norden und wurden von den Kommunisten als reaktionäre Kraft eingestuft. Im Süden blühte der Katholizismus unter Präsident Ngo Dinh Diem, der ihn als «Bollwerk» gegen den Kommunismus förderte. Auf der anderen Seite schränkte Diem die Praxis des Buddhismus aggressiv ein. Im Jahr 1975 kam es am Ende des blutigen Krieges und nach dem Abzug der amerikanischen Truppen zur Wiedervereinigung des Landes unter einer kommunistischen Regierung. Die Regierung schaltete die katholische Opposition aus. Priester wurden verhaftet und die Religionsausübung eingeschränkt. Angesichts der Repressionen flohen viele Menschen (boat people) aus dem Land. In der Verfassung von 1982 erhielten die BürgerInnen das Recht auf Religionsfreiheit. 

Die vietnamesische Kirche in Zahlen
Vietnam hat 27 Diözesen (einschliesslich 3 Erzdiözesen) und 52 Bischöfe für 7 Millionen Gläubige (bei 98 Millionen Einwohnern). Die Katholiken stellen etwa 6,7 % der Bevölkerung des Landes. Über 2 000 Seminaristen werden zur Zeit in sieben Priesterseminaren ausgebildet; 80 000 junge Laien engagieren sich in der Katechese und mehr als 2 668 Priester arbeiten in 2 228 Pfarreien. 1988 sprach Papst Johannes Paul II. 117 Märtyrer von Vietnam heilig, die Hälfte von ihnen sind Laien, stellvertretend für die hundertausenden vietnamesischen Märtyrer, die für ihren Glauben starben.

ZEUGNIS VON PATER JOSEPH TRAN SI TIN

Bis heute feiert Pater Joseph Tran Si Tin den Gottesdienst manchmal unter einem Zelt

Foto: zVg Joseph Tran Si Tin

Als Pater Tran Si Tin von seinem Orden, den Redemptoristen, 1969 seine Missionsarbeit bei der Minderheit der Jarai begann, ahnte er nicht, dass er seine «Zeit von Nazareth» erleben würde. Er berichtet von seinen Erfahrungen in den Dörfern des Hochlandes von Zentralvietnam.
Mein Noviziat begann mit der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils. Was mir von dieser Zeit besonders in Erinnerung bleibt, sind die Begriffe Aggiornamento, Wort Gottes, Mission und die Kirche in der Welt von heute. Die Ausbildung bei den Redemptoristen hat mich gelehrt, denen nahe zu sein, die am Rand der Gesellschaft stehen. Am 10. Oktober 1969 wurden wir in das Dorf Plei Kly des Volkes der Jarai entsandt. Dann kam 1975 die Besetzung von ganz Vietnam durch die Kommunisten. Wir wurden «befreit», von aller Freiheit, besonders von der Religionsfreiheit. Es war verboten, in der Öffentlichkeit über Religion zu sprechen. Versammlungen waren eingeschränkt und beaufsichtigt.
Aber dieses Regime legte Wert auf die Arbeit. Ich wurde ein Proletarier mit dem Volk und ich fuhr fort, mein Leben mit den Menschen zu teilen. Dieses Leben dauerte bis 1988. Ich habe die Menschen aber nicht im Stich gelassen, sondern 1988 haben sie mich zu einem anderen Dienst gerufen: zur direkten Verkündigung des Evangeliums. Ich möchte festhalten, dass diese 20 Jahre (seit 1969) bei und mit den Jarai für mich als Missionar zu einer überaus grossen Gnade wurden: ich durfte die Zeit «Jesu in Nazareth» leben. Die Jarai brachten mir nicht nur ihre Sprache bei, sondern sie liessen mich eintauchen in den Geist ihrer Sprache, in ihre reiche Kultur, in ihr Welt- und Menschenbild. Ich verstand, dass die Mission vor allem eine Suche ist: die Suche nach Gott, der bei seinem Volk wohnt. Als das Volk der Jarai mich rief, um ihnen das Evangelium direkt zu verkünden, hatten Gott und sein Sohn Jesus Christus bereits das Antlitz der Jarai, er war ihnen schon sehr nahe.

Leben mitten im Volk
Die Jarai luden mich in ihre Häuser und in ihre Dörfer ein, um ihnen das Evangelium zu verkünden, aber nicht am helllichten Tag, denn es war ja verboten, in der Öffentlichkeit über Religion zu sprechen. Ich musste vor Tagesanbruch in die Dörfer gehen. Die Treffen mit den Katechumenen begannen um 4.00 Uhr morgens in einer Familie und endeten um 5.00 Uhr. Zu dieser Zeit hatten wir keine anderen Lehrmittel als das Neue Testament, das wir 1972–1973 in die Sprache der Jarai übersetzt hatten. So beteten wir mit dem Neuen Testament. Das christliche Leben der Jarai wurde durch die Lectio Divina genährt, gefestigt und weiterentwickelt. Wir hörten auf das Wort Gottes, wir wiederholten es, wir meditierten, wir beteten für uns und für andere. Die Jarai wurden mehr durch das Gebet als durch die Predigten bekehrt. Von 1987 bis 2005 war ich der einzige Priester im Bezirk. Ich erkannte die wichtige und unersetzliche Rolle der LaienmissionarInnen. Diejenigen, die mir auf dem kerygmatischen Weg der Lectio Divina gefolgt waren, gingen nun in die Dörfer, in die ich nicht gehen konnte. Mir ist gesagt worden, dass diese LaienmissionarInnen die Arbeit besser machen als ich. Sie sind Jarai, die Jarai evangelisieren, in der Sprache und mit der Mentalität der Jarai. Diese Laien sind aus dem Volk, im Volk und mit dem Volk.

EIN SONNTAG MIT DER WELTKIRCHE, 24.10.2021

Selbstverständlich sind wir an jedem ganz  normalen Gottesdienst mit der Weltkirche verbunden. Trotzdem ist es gut, wenn wir den Sonntag der Weltmission vom 24. Oktober dazu nutzen, ganz bewusst in die Gemeinschaft mit den Gläubigen anderer Länder und Kulturen zu  treten. Die Kollekte an diesem Sonntag ist eine aussergewöhnliche Solidaritätsaktion. 
Sechs Diözesen und zwei Territorialabteien gibt es in der Schweiz; 3 025 Diözesen gibt es weltweit. Unsere Glaubensgemeinschaft hat es geschafft, die Grenzen der Kulturen und Nationen zu überwinden und uns zu einer riesigen, weltweiten Familie zu vereinen. Die Unterschiede mögen gross sein, doch der Glaube verbindet uns alle. Das ist eine grosse Freude und ein grosser Reichtum. 

Ein Herz und eine Seele?
Die Gütergemeinschaft der Urkirche, wie sie die Apostelgeschichte (Apg 4, 32ff) beschreibt, ist ein hohes Ideal und wir sind noch weit davon entfernt, es einzulösen. Doch am Sonntag der Weltmission wollen wir einen mutigen Schritt daraufhin tun. An diesem Sonntag legen alle Pfarreien und Gemeinschaften in der Welt ihre Kollekte zusammen und verteilen sie neu nach den Bedürfnissen der finanzschwächsten Ortskirchen.
In der Schweiz werden die Kollekten von Missio gesammelt und das Gesamtresultat dem Generalsekretariat in Rom mitgeteilt. Dort treffen auch die Resultate der anderen Länder ein. Sobald die Gesamtsumme bekannt ist, wird ein Verteilplan ausgearbeitet. Die Generalversammlung der Missio-Direktoren genehmigt den Plan und jedes Land erhält eine Liste mit Ortskirchen, an welche die Unterstützung ausbezahlt werden soll.

Auf diese Weise haben 2020 die Schweizer Katholikinnen und Katholiken Ortskirchen in Indien (Bellary, Gulbarga, Gumla), in Peru (Iquitos, San José del Amazonas) und in Guinea Conakry (N’Zérékoré) unterstützt.
Der Sonntag der Weltmission ist also nicht nur eine Erinnerung an unsere Mission als Kirche, sondern auch eine beeindruckende, einzigartige Solidaritätsaktion. Wie das Geld eingesetzt wird, zeigt die Grafik oben. 

Konstitutives Element
«Jeder soll immer am ersten Tag der Woche etwas zurücklegen und so zusammensparen, was er kann» (1 Kor 16, 2) rät Paulus den Christen in Korinth. Er organisierte sozusagen die erste Kollekte für die Weltkirche. In seinem Engagement geht es um die Unterstützung der Gemeinde in Jerusalem. Diese Solidaritätsaktion ist mehr als eine Nothilfe. Sie ist Teil seiner Verkündigung und ein Ausdruck der Gemeinschaft (vgl. Röm 15, 26), die er schaffen will. Deshalb taucht die Kollekte in seinen Briefen mehrmals auf. Es geht aber nicht darum, Menschen eine Pflicht oder Bürde aufzuerlegen, denn «jeder gebe, wie er es sich in seinem Herzen vorgenommen hat, nicht verdrossen und nicht unter Zwang; denn Gott liebt einen fröhlichen Geber» (2 Kor 9, 7). Machen auch wir aus dem Sonntag der Weltmission ein kleines Fest der weltweiten Gemeinschaft!

Spenden Sie direkt auf unser Konto
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Bankenclearing-Nr (BC-Nummer): 9000
Missio, Geschäftsstelle Freiburg, 8840 Einsiedeln
Postfinance AG, Mingerstrasse 20, 3030 Bern

 

                                                                                                                         

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