Tragen wir Sorge zu uns und zu einander!

Tragen wir Sorge zu uns und zu einander!

Was wir aus der Corona-Krise lernen können

Es ist an der Zeit, uns einmal grundsätzliche Gedanken über Leib und Leben von uns selber und auch von unseren Mitmenschen zu machen. Denn eines haben wir durch diese Krise gelernt (so hoffe ich es zumindest): wir haben nicht alles im Griff! Weder die Natur, noch die Welt und auch nicht unsere Gesundheit.

Ein «entzücktes Hoppla»
Viele Menschen leben, als ob sie nie sterben würden. Wir wissen zwar, dass wir sterben müssen, aber wir glauben es nicht! Erst durch das Corona-Virus haben manche gemerkt, dass der Tod uns plötzlich ganz nahekommen kann. Es ist einfach vor dem Fernseher zu sitzen und die Nachrichten zu schauen, in denen berichtet wird, wie viele Tausend Menschen in Afrika, Indien oder in China sterben. Das berührt uns nicht mehr allzu stark. In bequemen Fauteuils sitzend, haben wir uns schon längst an Todesfälle und Katastrophen gewöhnt. Der österreichische Sänger Rainhard Fendrich singt in seinem Lied «Es lebe der Sport», dass wir nur allzu gerne live dabei sind, wenn etwas passiert und uns ein Unfall nur ein «entzücktes Hoppla» entlockt. Zwar schreibt er dies über den Sport, aber man kann diese Gleichgültigkeit auch auf andere Lebensbereiche übertragen. Jetzt ist die tödliche Gefahr ganz nahegekommen. Hunderte Menschen sterben, tausende sind angesteckt – auch in Gebieten, in denen diese Zeilen jetzt gelesen werden. Krass wird uns nun vor Augen geführt, dass wir keine Einsiedler sind, die in einer abgeschotteten Welt leben. Wir erleben vielmehr, dass auch wir verwundbar, ja sterblich sind. Wir sind sterbliche Wesen, die diese Erde eines nahen oder fernen Tages wieder verlassen müssen. So kann diese Corona-Pandemie auch zur Chance für jeden von uns werden. Sie ruft uns zur Umkehr auf, denn wir waren zu lange der falschen Meinung, dass wir in einer kranken Welt immer gesund bleiben würden. Jetzt sind wir aufgerufen, diese Zeit der Prüfung als eine Zeit der Entscheidung zu nutzen. Es ist die Zeit zu entdecken, was wirklich zählt, was tragfähig ist und was vergänglich ist; die Zeit, das Notwendige von dem zu unterscheiden, was nicht notwendig ist. Der Psalm 90 trifft in seinem 12. Vers den Nagel auf den Kopf: «Unsere Tage zu zählen, lehre uns! Dann gewinnen wir ein weises Herz». Es ist die Zeit, den Kurs des Lebens wieder neu auf Gott und auf die Mitmenschen auszurichten! Wenn es uns gelingt, den Blick wieder neu auf Christus zu lenken, dann brauchen wir uns nicht zu fürchten, dann gewinnen wir ein weises Herz.


Foto: © by_Julien_Christ_pixelio.de

Trag Sorge zu deinem Körper
Immer wieder konnte man hören und lesen, dass manche Leute die Vorschriften des Bundes im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Corona-Virus für übertrieben hielten. Vor allem, dass man keine öffentlichen Gottesdienste mehr feiern darf, ist vielen sauer aufgestossen und es gab solche, die deswegen sogar vor Gericht zogen. Ich denke, dass es wichtig und richtig war und ist, diese Vorschriften ernst zu nehmen und anzuwenden. Auch als Christen sind wir nicht vor Ansteckungen gefeit! Auch als Christen sind wir leibliche Wesen, die mit ihrem Körper atmen, sehen, riechen, schmecken und lie–ben. Auch der Körper eines Christen kann krank werden. Die unchristlichste Antwort darauf wäre nun zu sagen, dass Gott es dann halt so gewollt habe. Wir dürfen nicht so reden, denn indem das Wort Gottes in Jesus Fleisch geworden ist, ist der Leib jedes Menschen heilig. Er ist ein Tempel des Heiligen Geistes, der in uns wohnt und den wir von Gott haben. Deshalb gehören wir nicht uns selbst, denn wir sind um einen teuren Preis erkauft worden, so schreibt Paulus in seinem 1. Korintherbrief, um dann fortzufahren: «Verherrlicht also Gott in eurem Leib!» (1 Kor 6, 19–20).

Wie verherrlichen wir Gott in unserem Leib? Ich denke, wichtig ist, uns bewusst zu werden, dass unser Körper etwas ungeheuer Wertvolles ist, das Gott erschaffen hat. Deshalb müssen wir zu diesem Leib Sorge tragen, ihn hegen und pflegen. Das heisst nicht: einen Superkörper daraus machen zu wollen, es geht nicht um Schönheit und Muskeln um jeden Preis. Es geht um einen sorgsamen Umgang mit unserem Leib, der uns anvertraut worden ist, um damit Gott zu verherrlichen.


Foto: © by_khv24_pixelio.de

Vielleicht hilft uns die Corona-Krise, bewusster wahrzunehmen, dass wir einen Körper haben, den wir nicht überfordern dürfen, zu dem man vielmehr Sorge haben muss, dem man auch die nötige Zeit zur Entspannung und Erholung zugestehen muss. Wahrscheinlich ist dies ein Aspekt, den viele Menschen, die voll im Arbeitsleben stehen, oft vergessen und die durch den «Lockdown», das durch die Pandemie verursachte Herunterfahren des Betriebes in eine nicht nur finanzielle Krise, sondern sogar in eine Lebenskrise geraten sind. Sie können nicht mehr arbeiten und haben dadurch den Sinn ihres Lebens verloren, weil sie sich nicht über ihr Herz definiert haben, sondern über ihre Leistung und ihr Ansehen in der Gesellschaft. Das ist zwar nicht immer nur schlecht, aber man darf dies nicht als das Höchste im Leben ansehen und den Menschen nur danach beurteilen. Das Ergebnis wäre ein teuflischer Leistungsdruck, der den Menschen fertigmachen kann – «Burn-out-Syndrom» nennt sich das. Man lebt nicht mehr, sondern wird gelebt. Solchen Menschen bietet diese Zeit eine Chance in sich zu gehen und sich zu überlegen, auf welches Fundament sie ihr Leben gestellt haben. Wer sich aus diesen Zwängen nicht befreien kann, hat keinen Sonntag und keinen Feiertag, gehört nur mehr seinem Geschäft und wird mit der Zeit verheizt.

Kann diese, durch das Corona-Virus erzwungene, Pause für uns nicht eine Möglichkeit sein, unser Verhältnis zum Körper, zur Arbeit, ja zu unserem Menschsein neu zu überdenken und, wo nötig, neu aufzugleisen, damit wir uns nicht (mehr) über unsere Arbeit, unser Bankkonto definieren, sondern über unser Herz, unsere Beziehung zu Gott und zu den Mitmenschen? Das mag auf den ersten Blick naiv tönen, aber in die Praxis umgesetzt würde sich vielleicht Vieles, das uns nicht guttut, ins Positive verändern.


Foto: © Sieger Köder «Der Sturm auf dem See», vom Künstler den Pfarrblättern von St-Maurice zur Verfügung gestellt.

Zweifel an Gott
Es ist verständlich, wenn es Menschen gibt, die in Krisenzeiten auch an Gott zweifeln. Das ist keine Sünde, und Fragen dürfen auch von gläubigen Menschen zugelassen werden. Fragen nach dem Warum und dem Sinn von all dem Leiden und dem Tod, die nun in die Welt gekommen sind. Es sind Fragen, die nur schwer zu beantworten sind, etwa mit der Durchhalteparole: Es wird alles wieder gut! Den Menschen, die immer alles erklären können und schnell Antworten zur Hand haben auf Fragen, auf die es im Grunde gar keine Antworten gibt, sollte man kein Gehör schenken! Gott ist ein Gott des Lebens und deshalb dürfen wir jederzeit zu ihm kommen und vor ihm unsere Zweifel und Ängste hinausschreien und ihm sagen: Herr, oft verstehen wir dich nicht und wir sehen, dass wir das nicht alles im Griff haben, aber du kannst uns retten, mit deiner Hilfe können wir Gutes bewirken. Wir glauben nicht an uns und den ewigen Fortschritt, sondern an Dich! Papst Franziskus hat in seiner Predigt anlässlich des ausserordentlichen Segens «urbi et orbi» am 27. März aufgezeigt, dass der Herr mit uns im Boot sitzt und uns nicht untergehen lässt. Ihm dürfen wir inmitten der Isolation, in der wir unter einem Mangel an Begegnungen leiden, unsere Ängste übergeben, damit er sie überwinde. Wie die Jünger werden wir erleben, dass er alles, was uns widerfährt, zum Guten wendet, auch die schlechten Dinge. Er bringt Ruhe in unsere Stürme, denn mit Gott geht das Leben nie zugrunde! Es ist jetzt und auch in Zukunft, wenn diese Pandemie vorbei sein wird, wichtig, uns neu auf Gott auszurichten, ihm einen grossen Platz in unserem Leben einzuräumen und uns um andere Menschen zu kümmern, vorsichtig zu sein zugunsten des anderen, Rücksicht zu nehmen aufeinander und so neue Wege zueinander zu gehen und immer stärker zu einer Familie zusammenzuwachsen, die alle nationalen Grenzen, unterschiedlicher Kulturen und Traditionen, Religionen und Bekenntnisse überschreitet und nach gemeinsamen Lösungen sucht, damit alle Menschen auf dieser Erde menschenwürdig leben können.

Paul Martone