Das Coronavirus verfolgte uns im vergangenen Jahr und es stellte unsere Vorstellungen von einem Leben in Gesundheit, Freude und Wohlstand infrage. Hätte vor einem Jahr jemand gesagt, dass wir während eines Grossteils des Jahres 2020 mit einer Maske herumlaufen und nicht nur während ein paar Tagen in der Fastnachtszeit – man hätte ihn ausgelacht und als verschrobenen Propheten des Weltuntergangs abgestempelt und in irgendeine Anstalt abgeschoben.
Gemeinsam oder gar nicht
Und doch hat dieses kleine, für das menschliche Auge unsichtbare Virus es geschafft, dass wir unseren Lebensstil hinterfragen und ändern mussten, ob wir das wollten oder nicht – es musste sein. Die Corona-Pandemie hat uns «kalt erwischt», denn wohl niemand von uns war wirklich auf so ein Szenario vorbereitet. Wir lebten, als ob uns nichts passieren könnte, wir missbrauchten Menschen und Umwelt, wir zerstörten unsere Natur und vergassen, dass es eine Illusion ist zu meinen, wir könnten in einer kranken Welt gesund bleiben. Die Augen sind vielen von uns aufgegangen, dass wir Menschen mit unserer unstillbaren Sucht nach immer mehr, schneller und höher, am meisten uns selbst an Leib und Seele geschadet haben. Papst Franziskus nennt dies in seiner neuesten Enzyklika «Fratelli tutti» eine trügerische Illusion, die glaubt, dass wir allmächtig sind, und dabei vergisst, dass wir alle im gleichen Boot sitzen. Um diese Not zu wenden, ist es unumgänglich, zu erkennen, dass «wir die Probleme unserer Zeit nur gemeinsam oder gar nicht bewältigen werden». Der Papst setzt Solidarität gegen Egoismus – auch im Falle der Pandemie, die für den Heiligen Vater keine Strafe Gottes ist, sondern «die Wirklichkeit selbst, die seufzt und sich auflehnt». Dieses Seufzen gilt es ernst zu nehmen und daraus Konsequenzen zu ziehen, die aus dem Seufzen von Menschen und Natur ein Aufatmen werden lässt in einer Welt, in der es für alle Platz hat, eine Welt, in der alle einander als Brüder und Schwestern begegnen. Dazu gehört, nach der Vorstellung des heiligen Franz von Assisi auch die Schöpfung. Werden wir aber aus der Geschichte lernen, oder wird es auch diesmal wiederum so sein, dass wir schlechte Schüler und Schülerinnen der Geschichte sind? Das «Rette sich wer kann» würde dann zu einem «Alle gegen alle» – «und das wird schlimmer als eine Pandemie sein», so der Papst in seinem Schreiben.

Was ihr von den anderen erwartet, das tut auch ihnen. Skulptur von Thomas Hürner. Foto Poss
Für die Liebe geschaffen
Vielleicht sollten wir uns immer wieder vor Augen halten, was Papst Franziskus in «Fratelli tutti» schrieb: «Wir sind für die Liebe geschaffen!» Diese Liebe kennt drei Richtungen: Zu mir selbst, zum Mitmenschen, zu Gott. Schauen wir uns diese Richtungen ein wenig näher an.
Selbstliebe ist etwas ganz anderes als Egoismus. Dieser denkt nur an sein Wohlsein und sein Vorwärtskommen. Dafür ist er bereit alles zu opfern und selbst über Leichen zu gehen. Selbstliebe beginnt, indem ich mich und mein Leben so annehme wie ich bin und wie es ist. Gott hat mich erschaffen in meine ganz konkrete Existenz hinein. Er hat mir mein Leben geschenkt mit allen Verheissungen und Bedrohungen, mit meinem Stolz und mit meiner Lächerlichkeit, mit all meiner Intelligenz und mit meinen Grenzen und meinem Versagen. Aber auch mit meinen Träumen von Ehre, Schönheit, erfülltem Leben, menschlicher Nähe, Freundschaft und Liebe. All dies hat mir die Gnade Gottes geschenkt. Durch mein Leben wird der Wille Gottes für mich ersichtlich. Darum ist kein Ereignis in meinem Leben gleichgültig oder neutral. Jede Existenz ist würdig, so wie sie ist, weil sie die Liebe und Freundschaft Gottes zu jedem einzelnen Menschen sichtbar werden lässt. Die Bibel drückt das aus, indem sie deutlich macht, dass jeder Mensch Abbild Gottes ist (vgl. Gen 1, 26). Liebe zu sich selbst will letztlich dazu führen, dass der Mensch das aus sich selber macht, was er nach dem Willen Gottes sein soll: frei, glücklich, offen für andere, fähig, Gott und die Menschen zu lieben. Ohne diese Liebe zu sich selbst kann das Leben nicht gelingen. Deshalb: «Sei gut und lieb zu dir. Sei gnädig mit dir, selbst dann, wenn du versagt hast und immer wieder an deine Grenzen rennst. Gott hält unendlich viel von dir; deshalb darfst auch dir etwas zutrauen. Nimm dich jedoch nicht zu wichtig; begegne dir vielmehr mit Humor und Gelassenheit».
Sorge tragen zur Gesundheit
Im Blick auf die Corona-Pandamie kann Selbstliebe auch heissen, zu seiner eigenen Gesundheit Sorge tragen. Gott hat uns Menschen mit Leib und Seele geschaffen und als solche sind wir seine Abbilder. Deshalb müssen wir zu Leib und Seele Sorge tragen, ohne unseren Leib zu vergötzen, aber auch ohne ihn zu verachten, denn er ist uns als gottgeschenktes Gut anvertraut. Es war in den vergangenen Monaten immer wieder die Rede von Menschen, die gegen die vom Staat angeordneten Schutzmassnahmen protestierten und die Hygienemassnahmen nicht respektierten und auch keine Maske trugen. Andere wiederum wagten sich kaum noch auf die Strasse, schlossen sich angstvoll in ihren vier Wänden ein und verfielen dadurch oft in eine Depression. Beide Richtungen sind falsch! Jene, die meinen, ihnen könne nichts passieren, irren sich ebenso wie jene, die meinen, ihnen würde immer alles passieren. Es gilt auch hier, sich an die Vorschriften zu halten, jedoch ohne Angst, denn diese war schon immer ein schlechter Ratgeber. Wir dürfen darauf vertrauen, dass alles, was existiert, von Gott erschaffen worden ist und es war am Anfang sehr gut. «Das, wonach jedes Menschenherz sich bewusst oder unbewusst sehnt, wird von der Heiligen Schrift aufgegriffen, bestätigt und vertieft: Ja, unsere Welt kommt aus einer guten Quelle. Sie ist ein Projekt der Liebe. Und was immer uns widerfährt, letztlich liegt unser Leben in guten Händen. Das Widersinnige, Destruktive und Böse – kein Mensch kann ergründen, warum es geschehen darf – mag sich mächtig gebärden, aber es wird das, was wahrhaft gut und schön ist, nie ganz zerstören können!», schrieb Karl Veitschegger. Und der Apostel Paulus fasst zusammen: «Wir wissen, dass Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt» (Römer 8, 28).